Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
göttlichen Funken, den inneren Guru, den inneren Christus oder Buddha, die innere weise Frau.
In diesem Kentaurenbild ist der Auftrag des Schütze-betonten Menschen ausgedrückt: zu »Höherem berufen« zu sein, zu wachsen, sich zu entwickeln, sich auf ein großes, göttliches Ideal zu beziehen, eine Vorstellung von Vollkommenheit und Meisterschaft zu haben. Ein Schützebetonter Mensch braucht ein Ziel, auf das er seinen Pfeil richten kann.
Im I Ging taucht immer wieder der Satz auf: »Fördernd ist es, zu haben, wohin man gehe.« Auf der Schütze-Ebene heißt das, man braucht ein Ziel, ein Ideal, eine Vision, um das Leben als lebenswert und sinnvoll zu empfinden. Hermann Hesse, der sehr Schützebetont war, sagt: »Wichtig ist nicht, woran ein Mensch glaubt, sondern dass er überhaupt einen Glauben habe.«
Oben und unten
Aus dem Kentauren-Bild lassen sich sowohl die Potenziale als auch die Problematik des Schütze-Prinzips ableiten. Laut Kryananda, dem indischen Astrologen, hat der reife Schütze eine Lebenshaltung, die man mit dem Satz »Verehrung nach oben und Liebe nach unten« definieren könnte: Verehrung für das, wohin ich den Pfeil richte, für das, was mir heilig ist, und Liebe nach unten, das heißt in Richtung Pferdeleib, meine niedere, animalische Seite. Beides gehört zur Ganzheit des Kentauren. Die Problematik des unreifen Schützen, die Kryananda formuliert, ist Verehrung nach oben und Verachtung nach unten.
Wer eine so hohe ideale Norm hat, wer sich immer auf den höchsten Berggipfel bezieht – man könnte diese Haltung als »Himalaja-Syndrom« bezeichnen -, der ist einerseits gesegnet. Viktor Frankl sagt: »Nimm dir immer das höchste Ziel vor, nur dann schaffst du das, was möglich ist.« Hierher gehört die Bereitschaft, Großes zu wagen, »ein großes Wasser zu durchqueren«, sich mit dem Feuer der Begeisterung auf den Weg zu machen, für das zu gehen, wofür man brennt, mit absolutem Einsatz und Enthusiasmus. Auf der anderen Seite ist ein so hohes Ziel auch ein großes Handikap. Sich selbst an einer so hohen, oft unerreichbaren idealen Norm zu messen kann zu ständigen Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen führen. Mit sich selbst im Moment zufrieden zu sein, die eigene Durchschnittswirklichkeit zu akzeptieren, die eigene Unvollkommenheit, aber auch die der anderen, das fällt keinem Zeichen so schwer wie Schütze. Hier ist der moralische Imperativ zu Hause: Ich sollte, du solltest. Kein Zeichen tritt mit einem so hohen Anspruch auf Vollkommenheit an, keines fühlt sich dem höheren Selbst, dem göttlichen Wesen in uns, so sehr verpflichtet.
Die Hüfte
Auch beim Schütze-Thema taucht die Problematik unserer Gottesbilder und Wertvorstellungen auf. Ich habe die Oben-unten-Spaltung schon bei Skorpion angesprochen. Wir beten nur die lichte, höhere Seite des Göttlichen an, während wir die dunkle, niedere Seite, auch die animalische Seite verachten, die im Märchen durch das hilfreiche Tier (das, wie gesagt, immer Recht hat) dargestellt wird. Das Problem dieses gespaltenen Gottesbildes ist es, uns nicht zu erlauben, unseren Körper, diesen Pferdeleib, mit seiner Art von Weisheit genauso zu achten und zu lieben wie unsere höhere, geistige Seite, und das spiegelt sich im Bild vom Kentauren wider.
In diesem Zusammenhang ist es einleuchtend, dass die Körperentsprechung des Schütze-Prinzips die Hüfte ist. An der Hüfte wachsen der niedere und der höhere Mensch zusammen, ist der Pferdeleib mit dem Menschen-Oberkörper verbunden. Esoterisch gesehen liegt in der Hüfte die Möglichkeit und der Auftrag, sich zu erheben, sich aufzurichten. Die helle Seite des Schütze-Prinzips ist der aufrechte Mensch, der sich seiner Menschenwürde bewusst ist, der sich über den Vierfüßlergang des Tieres erhoben hat. Zugleich birgt das Sich-Aufrichten, das Sich-Erheben auch die Gefahr der Überheblichkeit, der Anmaßung, der Hybris. Das ist die Botschaft, die dieser Körperbereich für uns bereithält. Stimmt die Verbindung von oben und unten nicht, wird der Pferdeleib mit seiner instinktiven Weisheit nicht genauso geachtet wie die höhere Seite unseres Wesens, sind oft Hüftprobleme die Folge.
Der Optimist
Wer mit dieser Grundenergie geboren wird – den Blick nach oben gerichtet, auf den Olymp, in den Himmel, in die Welt des Geistigen, Höheren -, dessen innere Haltung kann man nicht anders als optimistisch nennen: ein Visionär, der sich zu Höherem berufen fühlt, sich auf das Optimum des
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