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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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kam er gemessenen Schrittes über das Pflaster auf mich zu. »Dieser junge Mann, Tristan«, sagte er ohne Einleitung, »hat gestern abend am Telefon ein bißchen komisch gesprochen. Was für ein Kerl ist der eigentlich?«
    Ich blickte zu dem Riesenschädel auf und in die durchdringenden grauen Augen unter den gewaltigen Brauen, die mich forschend betrachteten. »Tristan?« antwortete ich unsicher. »Ach, der ist ein netter Junge. Wirklich ein feiner Kerl.«
    »Hmm.« Der Riese sah mich noch immer an und fuhr sich mit einem bananengroßen Finger über das Kinn. »Trinkt er?«
    Mr. Mount war für seine strenge Abneigung gegen alkoholische Getränke bekannt, und es wäre unklug gewesen, ihm zu sagen, daß Tristan in den meisten Kneipen der Gegend ein beliebter Stammgast war.
    »Ach, äh...« sagte ich. »Kaum... sehr gemäßigt...«
    In diesem Augenblick kam Deborah aus dem Haus und ging über den Hof.
    Sie trug ein geblümtes Baumwollkleid. Mit ihren neunzehn Jahren, dem Goldhaar, das ihr über die Schultern fiel, strahlte sie die gesunde Schönheit eines Bauernmädchens aus. Als sie an mir vorbeikam, lächelte sie, und ihre leuchtenden braunen Augen wärmten mir das Herz. Es war in jenen frühen Tagen, als ich Helen noch nicht kannte, und ich hatte durchaus ein Auge für ein hübsches Mädchen. Ich betrachtete genießerisch ihre Beine, als sie vorüberging.
    Ihr Vater warf mir einen strafenden Blick zu, so mißbilligend, daß mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Deborah war zwar ein kesses kleines Ding, und hübsch war sie auch, aber... nein, nie und nimmer. Tristan war entschieden mutiger als ich.
    Mr. Mount drehte sich kurz um. »Das Pferd ist im Stall«, brummte er.
    In den späten dreißiger Jahren hatte der Traktor schon eine Menge Zugpferde vertrieben, aber die meisten Farmer hielten sich immer noch einige, vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht auch nur aus Stolz auf die schönen Tiere.
    Mr. Mount hatte einen herrlichen Shire-Wallach von einem Meter achtzig Höhe. Ein muskulöses und kraftvolles Tier, das jedoch seinen Herrn zahm und freundlich anblickte, als er mit ihm sprach.
    Der Farmer schlug ihm auf die Kruppe. »Bobby ist ein guter Kerl, und ich halte was von ihm. Zuerst habe ich einen komischen Geruch an seinen Hinterhufen bemerkt, und dann habe ich es mir angeschaut. So was habe ich noch nie gesehen.«
    Ich bückte mich und griff in das Fell an den Fesseln. Bobby wehrte sich nicht, als ich den riesigen Huf hob und ihn mir aufs Knie legte. Er schien meinen ganzen Schoß auszufüllen, aber es war nicht seine Größe, die mich erstaunte. Mr. Mount hatte so was noch nie gesehen, und ich auch nicht. Der Strahl war eine rissige, aufgeschwemmte Masse, aus der ein stinkender Ausfluß drang, aber was mich am meisten verblüffte, waren die Auswüchse in den Rissen. Sie waren wie eklige Pilze – lang und warzenartig, mit horniger Oberschicht. Ich hatte davon in Büchern gelesen; man nannte es Ergotismus, aber ich hatte es noch nie in solchen Mengen gesehen. Meine Gedanken überschlugen sich, als ich mir den anderen Huf ansah. Genau das gleiche.
    Ich hatte meine Zulassung erst seit ein paar Monaten und war noch sehr um das Vertrauen der Farmer von Darrowby bemüht. Und nun mußte mir ausgerechnet das passieren.
    »Was ist es?« fragte Mr. Mount, und ich spürte wieder seinen durchdringenden Blick.
    Ich erhob mich und rieb mir die Hände. »Strahlfäule, aber ein böser Fall.« Theoretisch war mir die Sache völlig geläufig, mit der Praxis jedoch war es etwas anderes.
    »Und wie wollen Sie das heilen?« Mr. Mount hatte eine unangenehme Art, immer gleich zur Sache zu kommen.
    »Nun... sehen Sie, ich schneide all das lose Horn und diese Auswüchse weg. Dann muß ich den Huf mit Lauge verätzen«, antwortete ich, aber das war leichter gesagt als getan.
    »Also von selbst wird es nicht besser?«
    »Nein, wenn Sie es so lassen, löst sich der ganze Huf auf.«
    Der Farmer nickte. »Dann könnte er also nicht mehr gehen, und das wäre Bobbys Ende.«
    »Leider schon.«
    »Also gut.« Mr. Mount reckte entschlossen den Kopf. »Wann machen Sie es?«
    Eine böse Frage, denn im Augenblick sorgte ich mich weniger um das Wann als das Wie.
    »Ja, lassen Sie mich mal überlegen«, stammelte ich. »Wie wäre es... mit...«
    Der Farmer unterbrach mich. »Wir sind die ganze Woche beim Heuen, und Sie brauchen sicher Hilfe. Wie wär’s mit nächstem Montag?«
    Ich atmete erleichtert auf. So blieb mir etwas Zeit zum

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