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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Sally gerade damit beschäftigt war, Briefe abzulegen, und sagte: »Da ist eine Dame, die Sie sprechen möchte, Miss.«
    Es war Margaret.
    Sally tat vor Überraschung einen kleinen Jauchzer, dann umarmten sich die beiden.
    »Hast du eigentlich – ist er gekommen –?«
    »O Sally, du kannst dir ja nicht vorstellen – «
    Margaret machte einen bestürzten Eindruck. Sally schob ihr einen Stuhl hin und ließ sie erzählen.
    »Am Donnerstag – genauer gesagt, den gesamten gestrigen Tag und den heutigen Vormittag über – waren Männer im Büro, Buchhalter, und haben alles durchsucht und geprüft, jeden Brief, jeden Aktenordner, alles. Als sie gestern Morgen vor der Tür standen, wollten sie zuerst alles beschlagnahmen und mitnehmen. Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl, doch bei genauer Lektüre zeigte sich, dass dieses Papier sie keineswegs dazu berechtigte, Akten mitzunehmen. Ich lief rasch zum Portier, damit er die Tür zusperrte, und ging dann zu dem merkwürdigen kleinen Anwalt im Haus nebenan, der ein wenig hinkt, erinnerst du dich an ihn? Er war großartig. Er kam sofort mit und prüfte den Durchsuchungsbefehl, während die anderen schon dabei waren, die Tür aufzubrechen. Er sagte, wenn sie das tun würden, könnten sie sich auf Schadensersatzforderungen gefasst machen. Ich habe ihn sofort als Anwalt genommen, woraufhin er sicherstellte, dass die Männer nichts wegschafften, sondern alle Akten vor Ort prüften. Sally, die ruinieren unser Geschäft! Mr Wentworth – so heißt der Anwalt – hat herausgefunden, dass sie nicht nur dein Geld haben wollen, sondern die ganze Firma. Nach den Unterlagen, die er gesehen hat, versuchen sie uns die Finanzberatung aus der Hand zu nehmen unter dem Vorwand, die Firma sei nicht korrekt ins Handelsregister eingetragen. Alles stützt sich wieder auf diese behauptete Ehe mit Parrish. Da du, so ihre Rede, nicht angegeben hast, dass du die Firma mit dem Geld deines Mannes betreibst, seien alle deine geschäftlichen Handlungen illegal … Ich war die ganze Zeit über da und habe versucht Fragen zu beantworten, Widerstand zu leisten. Sie haben alles getan, was im Augenblick in ihrer Macht stand. Mr Wentworth war Gott sei Dank da, hat die Situation sogleich erfasst und ist sofort tätig geworden. Er ist dabei, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, Verfügungen und Einsprüche aller Art, um das Verfahren aufzuschieben. Damit sind sie bis Montag erst einmal ruhiggestellt. Aber ohne dein Mandat kann er keine weiteren juristischen Schritte einleiten. Wenn er Einsicht nehmen könnte in die Unterlagen in deinem Prozess gegen Parrish, wüsste er vielleicht einen Ausweg. Ach Sally, wie arrogant sie sind. Sie glauben, sie hätten das Recht, einfach hereinzuspazieren und alles mitzunehmen. Ich weiß jetzt, wie du dich fühlen musst – so überfallen, so gedemütigt –, es ist schrecklich …«
    Dass die kühle, spöttische Margaret sich nicht scheute, ihre Hilflosigkeit zu zeigen, erschütterte Sally.
    »Aber wie ist es dir seither ergangen?«, fragte Margaret weiter. »Wie bist du hierhergekommen? Und was ist das überhaupt für ein Haus? Wer ist der Mann, der in unser Büro gekommen ist? Du kannst beruhigt sein, er hat in Gegenwart der anderen Männer nichts verraten. Und wie geht es Harriet?«
    Sally berichtete ihr, was geschehen war. Die paar Tage, die sie sich nicht gesehen hatten, boten Stoff genug für einen ganzen Roman. Am Schluss erzählte sie von der befremdlichen Unterredung mit Mr Beech und der Entdeckung, dass er opiumsüchtig war.
    »Margaret, ich weiß nicht, warum, aber ich komme nochmals darauf zurück. Irgendetwas stimmt da nicht. Wäre dieser Anwalt, Mr Wentworth, wirklich in der Lage, meinen Fall zu übernehmen? Vertraust du ihm?«
    »Ja. Er begreift sofort, worum es geht, er ist kompetent und er ist ehrlich. Ich glaube, er hat nicht viele Klienten. Ich meine, er wirkt nicht gerade sehr anziehend. Vielleicht wählen sich die Leute ihren Anwalt nach dem Aussehen. Und seine Kanzlei macht einen ziemlich schäbigen Eindruck. Aber nach allem, was er bisher getan hat, würde ich ihm vorbehaltlos vertrauen. Die Sache ist nur: Du müsstest dich der Polizei stellen.«
    »Auf keinen Fall. Ich kann unmöglich – «
    »Hör zu. Er kann dir nicht helfen, solange du untergetaucht bleibst. Er würde sich strafbar machen und dann könnte er als Anwalt nichts mehr für dich tun. Er muss sich im Rahmen der Legalität bewegen. Aber wenn du dich erst einmal der Polizei gestellt und

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