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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Verbindung bringen, bis sie bemerkte, dass jeder Eingang mit einem Buchstaben versehen war. Die Zahlungen, die ihr aufgefallen waren, standen hinter dem Buchstaben P.
    Parrish.
    Es handelte sich um das Geld, von dem Goldberg ihr berichtet hatte – Beträge, die Parrish in Spielhöllen und Bordellen im Londoner West End hatte eintreiben lassen. Geld, das jene armen Mädchen von den Einwandererschiffen hereinbrachten. Und Goldberg besaß das Notizbuch, in dem Parrish diese wöchentlichen Einnahmen festgehalten hatte. Wenn die Beträge in beiden Büchern übereinstimmten …
    Wenn das der Fall war, dann hatte sie ihn am Haken.
    Sie suchte in der Schreibtisch-Schublade nach einer Schere und schnitt die betreffende Seite so nah wie möglich an der Heftung heraus, damit es möglichst nicht auffiel. Man würde es dennoch bald bemerken, aber einen Versuch war es wert. Dann stellte sie das Buch wieder auf das Regal und erlaubte sich einen Seufzer zum Zeichen dafür, dass ihr etwas gelungen war. Sie faltete das Blatt und steckte es sich in den Strumpf.
    Zurück ins Bett? Sally zögerte. Sie hatte eine wichtige Entdeckung gemacht, aber vielleicht sollte sie noch einen Schritt weitergehen. Es war ihr verhasst, aber das war das Leben ohne Harriet auch, wie überhaupt ihre ganze gegenwärtige Lage. Und der Druck, der auf ihr lastete, wenn sie an den Zaddik dachte …
    Nein, sie kam nicht darum herum. Sally verließ das Büro wieder und schlich sich die Treppe hinunter zu Michelets Tür. Dort hielt sie inne. Sie zögerte wie ein Schwimmer am Ufer eines Flusses, von dem er weiß, dass seine Wasser kalt, tief und gefährlich sind.
    Doch je länger sie zögerte, desto schlimmer wurde es. Sie schluckte und drehte am Türknauf. Dann trat sie so behutsam wie möglich ein.
     
    Als die Droschke über die Blackfriars Bridge fuhr, sagte Bill: »Warum wollten Sie nach Clapham, Mr G? Wird er sie nicht schnurstracks zu seinem Boss bringen?«
    »Nein, wie ich Parrish kenne, wird er versuchen ein kleines Geschäft zu machen. Verdammt, Bill, das war mein Fehler. Ich hätte schneller handeln müssen.«
    Er spähte hinaus durch den strömenden Regen; ein paar Karren, die nordwärts zu den großen Märkten zuckelten, eine andere Droschke, die so spät noch unterwegs war, ein Polizist im Regenmantel, der seine Runde drehte.
    »Hör zu«, sagte Goldberg. »Ich lasse die Droschke in Lambeth haltmachen. Ich möchte, dass du dort so viele deiner irischen Kumpel aufliest, wie du um diese Zeit finden kannst, und sie nach Clapham bringst. Die Jungs, von denen du mir schon öfter erzählt hast – gute Kämpfer, oder?«
    »Die besten«, versicherte Bill.
    »Sie müssen flink, aber auch gewandt sein. Jetzt pass auf: Zwischen den Häusern der Telegraph Road gibt es eine kleine Gasse, die zu den Hinterhöfen der Parallelstraße führt. Dort werde ich warten. Achte darauf, dass euch keiner folgt. Bis ihr angekommen seid, habe ich einen Plan, wie wir vorgehen.«
    »Kann ich den Jungs einen Kampf versprechen?«
    »Wenn Parrish da ist, ja, dann wird es zum Kampf kommen. – Kutscher!« Er schob das Fensterchen hinter seinem Kopf auf und bat den Kutscher, auf die Seite zu fahren. Bill blickte auf das riesige Gebäude des Bethlehem Hospital.
    »Bethlehem«, sagte er. »Ich trommle meine Hirten zusammen. Bis nachher, Mr G!«
    Er sprang aus der Droschke und verschwand im Dunkeln. Die Droschke fuhr weiter in Richtung Clapham.
     
    Harriet hatte nicht einmal geweint. Der Mann neben ihr war böse. Er kommandierte die anderen Männer herum, sie sollten aussteigen und irgendetwas aufmachen. Dann hob er sie aus den Polstern, aber nicht behutsam. Er war grob und tat ihr weh. Sie wehrte sich, versuchte sich steif zu machen, aber er hatte sie fest im Griff. Als sie sich weiterhin wehrte, schüttelte er sie und fuhr sie an. Da fühlte sie die Tränen kommen, aber sie hielt sie zurück, Mund und Augen zusammengekniffen.
    Dann waren sie in einem Haus, da war eine Treppe und eine Tür. Der Mann setzte sie auf ein Bett und es war dunkel, sehr, sehr dunkel. Wieder herrschte er jemanden an und dann schloss die Tür sie in die Dunkelheit ein.
    Diese Leute wussten ja überhaupt nichts. Sie wussten nicht, wie man die einfachsten Dinge tut. Sie hatten ihr noch nicht einmal die Schnürstiefel ausgezogen.
    Und dann kam, was kommen musste, sie konnte es nicht zurückhalten. Die warme Nässe ging durch Unterwäsche, Kleid und Mantel und breitete sich auf dem Bett aus. Und sie wusste, dass

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