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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Monster zu bekommen.
    Die beiden Männer kannten sich; ihre Gefühle füreinander bestanden zu gleichen Teilen aus Respekt und Misstrauen. Bill, der die beiden beobachtete, staunte über die magnetische Anziehungskraft Goldbergs, der es schaffte, zwei Menschen zusammenzubringen, die aus so gänzlich unterschiedlichem Holz geschnitzt waren.
    »Worum geht’s?«, fragte Lipman ohne Umschweife, als sie sich wieder gesetzt hatten.
    Mendel blies ein Rauchwölkchen in Richtung der Kerze und brachte sie zum Flackern.
    »Darf ich raten?«, sagte er, ehe Goldberg antworten konnte. »Es geht um die junge Frau.«
    Lipmans Blick wanderte von Goldberg zu seinem Rivalen. »Was ist das für eine Frau? Besteht da eine Verbindung zu der Sache, die wir vorhin besprochen haben?«
    »Ja, eine sehr enge sogar«, sagte Goldberg. »Sie ist die Person, die den Zaddik aus den Angeln heben kann.« In wenigen Sätzen berichtete er ihnen das Nötigste über Sally und Harriet. »Nun fürchte ich, dass sie sich in echte Gefahr begeben hat. Ich möchte, dass das Haus rund um die Uhr bewacht wird. Wenn sich die Lage zuspitzt, soll es gestürmt werden. Ferner ist da das Kind. Zwar ist es momentan in sicheren Händen, aber es wäre gut, wenn man dort eine Wache postieren würde.«
    Schweigen. Kid Mendel runzelte die Stirn. Moishe Lipman machte ein finsteres Gesicht.
    »Ziemlich teuer«, sagte er nach einer Weile. »Wozu der Aufwand?«
    »Weil wir den Zaddik nur über die Mutter des Kindes zur Strecke bringen können. Fällt das Kind in seine Hände, verlieren wir alles. Er wäre stärker denn je, denn die Tarnung der Mutter flöge sofort auf. Davon abgesehen befürchte ich noch Schlimmeres.«
    »Dieses Schauermärchen vom Blutopfer?«, fragte Mendel, aber es war keine wirkliche Frage. Er meinte die alte Legende, in der man die Juden bezichtigte, das Blut christlicher Kinder für ihre Rituale zu benutzen.
    Goldberg nickte.
    »Er würde das tun und es dann den Juden anlasten?«, fragte Lipman. »Aber warum, um alles in der Welt – «
    Weiter kam er nicht, denn draußen waren eilige Schritte zu hören und dann ein Pochen an der Tür. Lipman sprang auf, die Fäuste kampfbereit; Mendel wandte sich um und schaute gespannt zur Tür. Als Erster auf den Beinen aber, schneller noch als Bill, war Goldberg, die Hand in der Rocktasche.
    Bill öffnete die Tür. Es war Reuben Singer, der atemlos hereinstürzte.
    »Sie haben das Kind …«
    Binnen einer Sekunde war Goldberg an seiner Seite. Der junge Mann blutete aus einer aufgeplatzten Lippe und ein Auge war dick angeschwollen.
    »Eine Bande Schläger – keine Polizisten – ohne Papiere, nichts – ein Lackaffe kommandierte sie, stellte sich als Parrish vor. Rebekka wusste, was er vorhatte, und versuchte das Kind durch den Hintereingang in Sicherheit zu bringen – aber sie hatten auch Leute im Hof postiert. Und Mr Katz …« Er brach, nach Atem ringend, ab. »Er ist bewusstlos«, fuhr er mühsam fort. »Sie haben ihn mit Knüppeln geschlagen, Rebekka ebenfalls. Ich glaube, ihr Arm ist gebrochen. Sie haben das Kind …«
    »Ich bin dabei«, sagte Mendel. »Und was ist mit dir, Moishe?«
    Lipmans Boxervisage glühte im flackernden Kerzenlicht.
    »Keiner darf sich an Kindern vergreifen«, sagte er. »Weder Juden noch Gojim noch Hottentotten noch sonst wer. Sag uns, was wir tun sollen, Dan.«
    Goldberg überlegte rasch. »Es gibt drei Orte, an die Parrish das Mädchen gebracht haben könnte: in das Haus am Fournier Square, in sein eigenes Haus in der Telegraph Road in Clapham oder in das Haus in Twickenham, das er sich unter den Nagel gerissen hat. Moishe – nimm dir ein paar von deinen Jungs und geh zum Fournier Square. Kid, du übernimmst Twickenham, Orchard House – ein Anwesen am Fluss. Und ich gehe nach Clapham.«
    »Was haben wir zu tun?«
    »Posten beziehen und beobachten. Sobald ihr das Kind seht, stürmen und es befreien.«
    »Schon mal eine Kindesentführung gesehen?«, sagte Lipman. »Es wird nicht leicht sein, ohne die Kleine dabei zu verletzen.«
    »Wir schaffen das«, sagte Mendel zuversichtlich.
    »Wir brauchen einen Treffpunkt«, sagte Goldberg. »Mein Quartier in Soho wird überwacht, seit ich steckbrieflich gesucht werde. Hat jemand eine Idee?«
    »Ich habe ein Telefon«, sagte Mendel. »Nummer 4214. Ich stelle einen Mann dafür ab. Ruf an, sobald du kannst. Ab neun Uhr ist das Fernsprechamt besetzt. Er wird die Nachrichten dann übermitteln.«
    »Gut«, sagte Goldberg, als die beiden

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