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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sie vorüber waren.
    Dann, keine zwei Minuten später, kam der Mann, auf den beide gewartet hatten: eine kräftige Gestalt mit Tweedmantel und Melone. An einem Gurt über der Schulter trug er eine Ledertasche.
    »Da kommt er«, flüsterte Bill.
    Liam glitt nach vorn, immer noch im Schatten. Bill wartete, bis der Mann auf Höhe des Hof-Eingangs war, dann sagte er in lockerem Ton: »’tschuldigung, Sir?«
    Der Mann blieb stehen, zögerte und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
    »Ja bitte?«
    »Hätten Sie Feuer für mich?«, sagte Bill.
    Der Mann kramte in seinen Taschen. Darauf hatte Bill nur gewartet. Er trat vor, griff nach dem Mantelaufschlag und zog so fest daran, wie er nur konnte. Der Mann hatte nicht einmal Zeit zu schreien. Liams Faust traf ihn am Kinn, worauf er benommen zusammenbrach. Die beiden Ganoven zerrten ihn rasch in die Dunkelheit.
    Die schwere, klimpernde Ledertasche fiel zu Boden. Bill warf sie sich gerade über die Schulter, da sah er im schwachen Lichtschein, der von der Straße kam, ein silbernes Schimmern an den Lippen des Mannes.
    »Achtung!«, sagte er knapp und Liam schlug dem Mann die Hand vom Mund. Die Trillerpfeife rollte in die Gosse. Bill packte den Mann am Kragen und zerrte daran.
    »Hör zu«, sagte er leise, »versuch nicht, den Helden zu spielen. Wir hätten dir auch ein Messer zwischen die Rippen jagen können. Wir könnten’s übrigens immer noch. Wir wollen alles, was du in den Taschen hast. Raus damit. Und noch was: Eine falsche Bewegung und du kannst nicht mal mehr Piep sagen.«
    Zitternd rappelte sich der Mann auf die Knie und leerte seine Taschen. Ein Kamm, etwas Kleingeld, ein paar Schlüssel -
    »Alles«, drängte Bill.
    Eine Schachtel Streichhölzer. Ein Taschentuch. Eine Pfeife und ein Tabaksbeutel.
    Bill verlor die Geduld. Er riss die Jacke des Mannes auf und griff hinein. In der Innentasche fand er, wonach er gesucht hatte: ein speckiges, abgegriffenes Notizbuch.
    »Schön«, sagte Bill. »Jetzt gibt es gleich noch mal Hiebe für dich, weil ich Geldeintreiber nicht mag.«
    Der Mann verlegte sich aufs Bitten: »Nein – warte – «
    »Oh, schon recht, es muss nicht sofort sein. Ich habe es nur gesagt, damit du dich später nicht beklagst, wir hätten dich nicht gewarnt. Aber ehe es so weit ist, sag: Wie viele Typen wie dich beschäftigt dein Boss noch?«
    »Außer mir niemanden, das schwöre ich – «
    »Du bist wirklich der Einzige?«
    »Der Einzige in dieser Branche, Ehrenwort!«
    »Dein Boss hat nicht zufällig eine kleine Nebenbranche, über die du nicht gern sprechen möchtest?«
    »Nein! Bitte, Kumpel, lass mich laufen. Ich bin bloß ein armer Schlucker, der seine Brötchen verdienen muss – «
    Bill schlug zu, dann steckte er das Notizbuch ein. Er stand auf und sagte zu dem stöhnend in der Gosse liegenden Mann: »Übrigens, an deiner Stelle würde ich mir hier kein Pfeifchen anzünden. In der Mauer steckt eine undichte Gasleitung. Könnte einen Mordsknall geben. Noch einen Schwinger zum Abschied?«
    Stattdessen gab er ihm einen Tritt. Die jungen Ganoven zogen sich die Mützen tief in die Stirn und verschwanden um die nächste Ecke. Kaum waren sie wieder in Sicherheit, sagte Liam: »So, jetzt rück meinen Anteil raus, dann verdrücke ich mich.«
    Bill griff in die Ledertasche und zählte eine Hand voll Münzen ab. »Hier sind die zwanzig. So war es ausgemacht.«
    »Da ist aber mit Sicherheit mehr drin.«
    »Wir hatten zwanzig abgemacht«, sagte Bill, »und so viel hast du gekriegt. Wenn’s dir nicht passt, arbeite ich nächstes Mal mit Bridie zusammen.«
    »Hände weg von Bridie«, warnte ihn Liam. »Lass sie aus dem Spiel.«
    Jeder warf dem anderen einen kalten Blick zu, dann trennten sie sich. Liam verschwand nach Süden ins Themse-Viertel Lambeth. Bill lenkte seine Schritte in Richtung Soho.
     
    Margaret Haddow hätte das Opfer der beiden jungen Ganoven erkannt: Es war der Mann, den sie am Morgen in Mr Parrishs Büro gesehen und der die Bemerkung über die Juden gemacht hatte. Sein Name war Tubb.
    Zwanzig Minuten nach dem Überfall stieg er noch einmal die Treppe zu Mr Parrishs Büro hinauf, allerdings mit beträchtlich größerem Unbehagen als am Vormittag.
    »Du kommst spät«, sagte Mr Parrish, ohne auch nur aufzublicken, als Tubb das hintere Büro betrat.
    »Ich bitte um Entschuldigung, Mr Parrish, aber schauen Sie selbst: Man hat mich ausgeraubt.«
    Mr Parrish bekam große Augen, als er bemerkte, in welchem Zustand sich sein Mann

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