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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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einer Missachtung des Gerichts gleich – und Sie würden eine Gefängnisstrafe riskieren.«
    »Könnte man mir Harriet mit Gewalt wegnehmen?«
    »Miss Lockhart, es ist wirklich nicht ratsam, diesen Gedanken noch weiterzuspinnen – «
    »Würde man Gewalt anwenden?«
    »Nun, wenn wirklich alle anderen Mittel nicht zum Erfolg führen, dann ja. Doch es besteht überhaupt kein Grund, sich das Schlimmste auszumalen. Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz. Hier sollte der Geist des Kompromisses herrschen. Alles lässt sich durch ein vernünftiges Gespräch regeln …«
    »Wie kann ich Kompromisse schließen, wenn jemand, von dem ich noch nie zuvor gehört habe, mir mein Kind wegnehmen will? Wie können Sie nur von Kompromissen reden? Da gibt es doch keine Kompromisse. Ich verstehe Sie nicht, Mr Adcock.« Sally hielt abwehrend die Hand in die Höhe, um den Anwalt am Reden zu hindern. Dann stand sie auf. »Entschuldigen Sie bitte, schließlich haben Sie nur meine Frage beantwortet. Ich gehe jetzt. Engagieren Sie auf jeden Fall den Detektiv, das ist ein guter Vorschlag. Soll ich demnächst noch einmal wiederkommen?«
    »Wir haben gerade noch zwei Wochen Zeit. Ja, wir sollten uns noch einmal vor dem Beginn des Prozesses … Vielleicht in einer Woche?«
    Sally hatte das Gefühl, dass sie sich im Grunde jeden Tag treffen sollten und dass ihr Anwalt sich ausschließlich mit ihrem Fall beschäftigen sollte. Aber sie nickte.
    »Und mein Verteidiger vor Gericht, Mr Coleman? Wann kann ich ihn sprechen?«
    »Oh, Mr Coleman ist ein viel beschäftigter Mann. Ich glaube nicht, dass er sich für so etwas Zeit nehmen kann.«
    Verblüfft setzte sich Sally wieder. »Wollen Sie damit sagen, dass mein Verteidiger zum Prozess erscheinen würde, ohne sich auch nur anzuhören, was ich dazu zu sagen habe?«
    »Ich bin Ihr Anwalt, Miss Lockhart. Ich höre Ihnen zu und gebe ihm entsprechende Anweisungen. Er wird alle Unterlagen zu seiner Verfügung haben, glauben Sie mir. Selbstverständlich kann ich ihn um einen Termin bitten, wenn Sie das wünschen, aber ich kann Ihnen versichern, dass Mr Coleman, Kronanwalt, ein kompetenter Jurist ist. Ihr Fall ist bei ihm in den besten Händen.«
    »Das freut mich. Unterlagen hin oder her, ich würde mich trotzdem gerne vorher mit ihm unterhalten. Könnten Sie das für mich arrangieren?«
    »Ich werde mein Möglichstes tun. Allerdings, ich sagte es bereits, ist er sehr beschäftigt.«
    Sally verließ bedrückt das Büro. Als sie anhielt, um Mr Bywater auf Wiedersehen zu sagen, gab ihr der alte Angestellte ein Zeichen, näher zu treten.
    »Hab was für Sie«, sagte er.
    Er holte einen Zettel aus der Westentasche.
    »Ich habe mich mit einem Bekannten von mir unterhalten, der früher mal Schreiber bei den Anwälten war, mit denen Ihr Kläger in Verbindung steht. Habe meinen Bekannten gebeten, ein bisschen herumzuschnüffeln. Über die jetzigen Geschäfte in der Kanzlei weiß er zwar nicht Bescheid, das ist klar, aber er erinnert sich an den Namen Parrish. Vor drei oder vier Jahren gab es einen Prozess gegen einen Mann in der Blackmoor Street – «
    »Da hat Parrish sein Büro!«
    »Moment«, sagte Bywater streng. »Darauf komme ich gleich. Dem Beklagten, einem gewissen Belcovitch, wurde irgendeine Fahrlässigkeit in Handelsgeschäften vorgeworfen. Schauen Sie nach, worum es genau ging, es steht alles in den Unterlagen. Wichtig ist, dass er den Prozess verlor, in die Berufung ging und wieder verlor. Das ist der äußere Sachverhalt. In Wirklichkeit war er aber unschuldig, doch das kam erst viel später heraus, und zwar im Verlauf eines anderen Prozesses. Doch für Belcovitch war es zu spät, er war zuvor schon ins Wasser gegangen. Der damalige Kläger hieß Lee. Einige Zeit später stand das Geschäft zum Verkauf an, Lee erwarb es und setzte Parrish als Manager ein. Der Name wurde gewechselt, alles ganz legal. Entscheidend ist, dass nicht Parrish der Boss ist, sondern Lee. Über den weiß ich nichts. Mein Bekannter erinnert sich bloß an eine Adresse in Spitalfields, die ihm einmal untergekommen war. Ein französischer Name, irgendetwas wie F… Square. Hier.«
    Damit reichte er ihr einen Zettel mit einer Adresse.
    »Keine Hausnummer«, sagte er noch.
    »Ist das Mr Lees Adresse? Oder ist sich Ihr Bekannter da nicht sicher?«
    »Daran kann er sich nicht mehr genau erinnern. Es hat irgendetwas mit dem Fall Lee gegen Belcovitch zu tun.«
    »Belcovitch … War er Jude, der Mann, der

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