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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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alles in der Welt …«
    »Wir bestehen darauf, dass der Kläger in der Frage der Eheschließung eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt hat«, sagte Mr Adcock. »Das ist es, was wir tun. Ich habe Erwiderungen auf alle Anklagepunkte formuliert, und wenn Sie es wünschen, können wir alles noch einmal Punkt für Punkt durchsprechen. Allerdings muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich um drei Uhr einen anderen Klienten habe – «
    »Mr Adcock, ich bin nach Portsmouth gefahren und habe mir das Heiratsregister angeschaut: Es ist gefälscht.«
    »Wie bitte?«
    Er hörte aufmerksam zu, während Sally berichtete, was sie herausgefunden hatte. Er runzelte die Stirn, verzog den Mund und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.
    »Und das Buch war unbeschädigt? Man hat nicht versucht eine Seite einzukleben oder zu ersetzen?«
    »Genau danach habe ich gesucht. Nein, nichts dergleichen. Es war nicht angetastet. Demnach soll ich den Mann am 3. Januar 1879 geheiratet haben. Doch das habe ich nicht, ich schwöre es. Und wir müssen Mr Beech finden, den Pfarrer, der den entsprechenden Eintrag gemacht hat. Wenn wir ihn ausfindig machen und er bestätigen kann, dass die Heirat nie stattgefunden hat, dann ist der Prozess zu Ende. Dann haben wir gewonnen.«
    Mr Adcock lächelte nachsichtig.
    »Ich bedauere Sie daran erinnern zu müssen, dass es so einfach doch nicht ist. Fahnden Sie ruhig nach dem Geistlichen, wenn Sie meinen, dass sich der Aufwand lohnt. Ich kann auch einen Detektiv beauftragen, wenn Sie das wünschen, obgleich das mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre. Allerdings könnte er auch die Version der anderen Partei bestätigen und nicht Ihre. Ferner muss ich Sie daran erinnern, dass dies nur ein Aspekt des Klageantrags betrifft. Alle anderen Punkte bleiben davon unberührt: böswilliges Verlassen, eingeschränkte Handlungsfähigkeit infolge von Trunksucht, schlechte Behandlung der Dienstboten, Veruntreuung von Geldern, Unfähigkeit, das Sorgerecht auszuüben, Zusammenleben mit Personen fragwürdigen Lebenswandels – «
    Wieder spreizte er die Hände. Die Klagen, die er in seiner präzisen, melodischen Sprechweise vortrug, empfand Sally wie Stiche ins Herz. Sie hatte sich das Schreiben über einen Tag lang nicht angeschaut und in der Zeit die Wirkung vergessen, die es auf sie gehabt hatte. Irgendjemand musste sie hassen, dass er sie so angriff. Das Gefühl, von jemandem aus einem ganz bestimmten Grund gehasst zu werden, ist schon schlimm genug; doch das Wissen, von einem Unbekannten gehasst zu werden, noch dazu aus gänzlich unerfindlichen Gründen, ist noch viel schlimmer. Es überkam Sally so plötzlich und machte sie so mutlos, dass sie nicht länger mit dem Anwalt diskutieren konnte. Stattdessen nickte sie nur unglücklich, den Blick gesenkt.
    »Ja«, sagte sie schließlich. »Ich sehe es ein. Bitte beauftragen Sie einen Detektiv, um Mr Beech ausfindig zu machen. Die einzige Spur besteht darin, dass er unter dem Verdacht, Kirchensilber gestohlen zu haben, aus der Pfarrei entfernt wurde und jetzt im Gefängnis sitzt. Aber das sind nur Gerüchte.«
    Mr Adcock machte eine besorgte Miene.
    »Liebe Miss Lockhart, erlauben Sie mir den Rat, vielmehr die dringende Bitte: Wiederholen Sie solche Behauptungen nicht. Das Gesetz gegen üble Nachrede – das brauche ich Ihnen nicht erst in Erinnerung zu rufen – ist geschaffen worden, um sich gegen Behauptungen dieser Art zu schützen. Ich möchte unbedingt vermeiden, dass Sie auch noch in dieser Hinsicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten.«
    »Gut. Aber Sie werden doch wohl den Detektiv davon in Kenntnis setzen?«
    »Ich werde ihm jeden nur denkbaren Hinweis geben. Wir sollten auch gegen Mr Parrish selbst ermitteln, wenn Sie einverstanden sind. Seine Geschäfte, seine Verhältnisse, hm? Das könnte von Nutzen sein.«
    Ermutigt von diesen doch konstruktiven Vorschlägen willigte Sally sogleich ein. Dann fragte sie ihn: »Mr Adcock, nehmen wir einmal an, dass es zum Schlimmsten kommt. Was passiert dann?«
    »Oh, daran sollten Sie meiner Meinung nach nicht denken. Machen wir einen Schritt nach dem anderen.«
    »Aber ich möchte es trotzdem wissen. Könnte man mir meine Tochter Harriet wegnehmen?«
    »Angenommen, das Urteil fiele zu Gunsten des Klägers aus, dann würde das Gericht Sie auffordern, das Sorgerecht für das Kind dem Va–, äh, Mr Parrish abzutreten. Doch warum sollten wir das annehmen …?«
    »Und wenn ich mich weigern würde?«
    »Nun, das käme

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