Der Tod auf dem Nil
allerdings. Der hatte darauf bestanden, seine eigene Exkursion zu einem fernen Flecken namens Semna zu machen, der, wie er erläuterte, von überragender Bedeutung als Tor nach Nubien zurzeit Amenemhets III. sei und wo es eine Stele gebe, mit der an den Umstand erinnert werde, dass Neger beim Betreten Ägyptens Zölle zu entrichten hatten. Alle Versuche, dieses Beispiel an Individualismus zu untergraben, waren vergeblich gewesen. Signor Richetti war entschlossen und hatte jeden der Einwände – 1. dass sich die Expedition nicht lohne, 2. dass die Expedition unmöglich, weil dort kein Wagen zu bekommen sei, 3. dass für die Tour überhaupt kein Wagen zu bekommen sei, 4. dass ein Wagen unerschwinglich teuer sei – vom Tisch gewischt. Nach Hohngelächter über Einwand 1, skeptischem Blick anlässlich Nr. 2, dem Angebot, für den Wagen aus Nr. 3 selbst zu sorgen, sowie Feilschen in fließendem Arabisch zu Nr.4 war Signor Richetti schließlich abgereist – in aller Eile und Heimlichkeit, für den Fall, dass noch jemand von der Touristenschar auf die Idee käme, auch vom angezeigten Pfad der Sehenswürdigkeiten abweichen zu wollen.
«Hoffart?» Mrs. Allerton legte zur Vorbereitung einer Antwort den Kopf zur Seite. «Nun, das ist ein etwas altmodisches Wort. Ich meinte diesen exaltierten Dünkel, der vor dem Fall in die Katastrophe kommt. Wissen Sie, dieses – zu schön und glücklich um wahr zu sein.» Sie hielt einen kleinen Vortrag.
Poirot hörte aufmerksam zu. «Ich danke Ihnen, Madame. Ich verstehe es jetzt. Merkwürdig, dass Sie das Wort gestern benutzt haben – so kurz bevor Mrs. Doyle dem Tod gerade noch entgehen sollte.»
Mrs. Allerton schauderte leise. «Das muss ja wirklich knapp gewesen sein. Glauben Sie, jemand von diesen kleinen schwarzen Lumpen hat den Block aus Jux und Dollerei losgerollt? So etwas machen Jungs ja auf der ganzen Welt – und meinen vielleicht gar nichts Böses.»
Poirot zuckte die Schultern. «Das kann sein, Madame.» Dann wechselte er das Thema, kam auf Mallorca zu sprechen und erkundigte sich nach verschiedenen praktischen Dingen für den Fall eines eventuellen Besuchs dort.
Mrs. Allerton war der kleine Mann regelrecht ans Herz gewachsen – zum Teil vielleicht aus Widerspruchsgeist. Tim, so schien ihr, versuchte immer, sie von freundlichen Gefühlen für Hercule Poirot abzubringen, er bezeichnete ihn auch stets als «Banause der schlimmsten Sorte». Sie empfand ihn nicht so; ihrer Vermutung nach war es Poirots etwas fremde, exotische Kleidung, die ihren Sohn in seinen Vorurteilen bestärkte. Sie empfand ihn als intelligenten, anregenden Gesprächspartner. Außerdem war er ausgesprochen einfühlsam. Und so vertraute sie ihm einfach plötzlich ihre Abneigung gegen Joanna Southwood an. Es war befreiend, darüber zu reden. Und warum denn auch nicht? Er kannte Joanna nicht – würde ihr wahrscheinlich auch nie begegnen. Warum sollte sie sich eigentlich nicht ein bisschen befreien von diesen andauernden, belastenden Eifersuchtsgedanken?
Just im selben Augenblick unterhielten Tim und Rosalie Otterbourne sich über sie. Tim hatte sich gerade halb scherzhaft über sein Pech mokiert. Seine angegriffene Gesundheit, weder schlecht genug, um wirklich interessant zu sein, noch gut genug, um ihm das Leben möglich zu machen, das er gern gelebt hätte. Das allzu wenige Geld, die fehlende angemessene Beschäftigung.
«Ein zutiefst fades, gezähmtes Dasein», schloss er missmutig.
Rosalie warf barsch ein: «Sie haben etwas, worum eine Menge Menschen Sie beneiden würden.»
«Was denn?»
«Ihre Mutter.»
Tim war überrascht und geschmeichelt. «Mutter? Ja, natürlich, sie ist ziemlich einzigartig. Nett, dass Sie das bemerkt haben.»
«Ich finde sie großartig. Sie sieht so wunderbar aus – so ausgeglichen und ruhig –, als könnte nichts ihr etwas anhaben, und trotzdem – trotzdem nimmt sie alles auch immer gern von der komischen Seite…» Rosalie stammelte fast vor lauter Eifer.
Tim verspürte eine Welle warmer Gefühle für das Mädchen. Er hätte das Kompliment sehr gern zurückgegeben, aber Mrs. Otterbourne entsprach bedauerlicherweise exakt seiner Vorstellung des denkbar größten Ekels. Dass er nicht ebenso freundlich antworten konnte, machte ihn verlegen.
Miss Van Schuyler war auf der Barkasse geblieben. Sie konnte den Aufstieg nicht riskieren, weder auf einem Kamel noch auf den eigenen Beinen. Also hatte sie barsch verfügt: «Ich muss Sie leider bitten, bei mir zu bleiben,
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