Der Tod auf dem Nil
Art von Skandal und sie hat immer auf meine Diskretion vertraut, aber die Umstände sind so ungewöhnlich, dass ich wirklich keine Wahl habe. Selbstverständlich wäre, wenn Sie in den Kabinen nichts finden, Ihr nächster Schritt, die Passagiere zu durchsuchen, und wenn die Perlen dann bei mir gefunden würden, wäre auch das eine sehr missliche Lage, und die Wahrheit würde dabei ebenfalls herauskommen.»
«Was ist denn nun die Wahrheit? Haben Sie diese Perlen aus Mrs. Doyles Kabine genommen?»
«O nein, Colonel Race, selbstverständlich nicht. Es war Miss Van Schuyler.»
«Miss Van Schuyler?»
«Ja. Sie kann nicht anders, wissen Sie, sie – äh – stiehlt Sachen. Vor allem Schmuck. Deshalb bin ich in Wirklichkeit ständig bei ihr. Um ihre Gesundheit geht es gar nicht; es geht um diese kleine krankhafte Marotte. Ich bin immer auf der Hut und glücklicherweise hat es auch keinen Ärger mehr gegeben, seit ich bei ihr bin. Man muss einfach ständig aufpassen, wissen Sie. Und sie versteckt die Sachen, die sie nimmt, auch immer an derselben Stelle – sie wickelt sie in ein Paar Strümpfe –, das macht es auch sehr einfach. Ich sehe jeden Morgen nach. Ich habe natürlich einen leichten Schlaf und ich schlafe immer im Nebenzimmer und mit offener Verbindungstür, wenn es ein Hotelzimmer ist, deshalb höre ich normalerweise alles. Ich stehe dann auf und überrede sie, wieder ins Bett zu gehen. Das war auf dem Schiff natürlich viel schwieriger. Aber nachts wird sie eigentlich normalerweise nie aktiv. Sie nimmt einfach Gegenstände mit, die sie irgendwo herumliegen sieht. Perlen hatten natürlich immer schon eine große Anziehungskraft.» Miss Bowers hielt inne.
Race fragte: «Wie haben Sie entdeckt, dass die Perlen entwendet worden waren?»
«Sie waren heute Morgen in ihren Strümpfen. Ich wusste natürlich, wem sie gehörten. Ich hatte sie oft gesehen. Ich bin losgegangen, um sie zurückzubringen, in der Hoffnung, dass Mrs. Doyle noch nicht wach ist und den Verlust noch nicht bemerkt hat. Aber da stand ein Steward vor der Tür und erzählte von dem Mord und dass niemand da hineindarf. Da saß ich ja nun in der Klemme. Ich hoffte aber, ich könnte sie später heimlich in die Kabine zurücklegen, bevor jemand ihr Fehlen bemerkt. Ich kann Ihnen versichern, ich habe einen sehr unangenehmen Vormittag hinter mir und immer überlegt, was ich am besten tun soll. Wissen Sie, die Familie Van Schuyler ist überaus eigen und vornehm. So etwas dürfte nie in die Zeitung geraten. Aber das ist doch auch nicht nötig, nicht wahr?» Miss Bowers sah wirklich besorgt aus.
«Das kommt drauf an», sagte Colonel Race behutsam. «Aber wir tun für Sie selbstverständlich, was wir können. Was sagt denn Miss Van Schuyler zu alldem?»
«Oh, sie wird es natürlich leugnen. Das tut sie immer. Behauptet, irgendein böser Mensch hat den Schmuck dort hingelegt. Sie gibt niemals zu, selbst etwas gestohlen zu haben. Deshalb geht sie auch, wenn man sie rechtzeitig erwischt, lammfromm wieder zu Bett und behauptet, sie sei nur hinausgegangen, um den Mond anzusehen. Oder so ähnlich.»
«Weiß Miss Robson von dieser – äh – Schwäche?»
«Nein, sie nicht. Ihre Mutter weiß es, aber ihre Tochter ist ein sehr schlichtes Gemüt, deshalb fand sie es besser, sie nicht einzuweihen. Und ich bin auch immer sehr wohl allein mit Miss Van Schuyler fertig geworden», fügte die tüchtige Miss Bowers hinzu.
«Wir müssen uns bei Ihnen, Mademoiselle, bedanken, dass Sie sofort zu uns gekommen sind», sagte Poirot.
Miss Bowers stand auf. «Ich bin sicher, es war das Beste, hoffentlich.»
«Seien Sie versichert, das war es.»
«Nun ja, wenn es nicht gleichzeitig einen Mord –»
Colonel Race fiel ihr ins Wort. «Miss Bowers, ich möchte Ihnen eine Frage stellen und Sie eindringlich bitten, sie wahrheitsgemäß zu beantworten. Miss Van Schuyler ist geistig so aus dem Gleis, dass sie einen Hang zur Kleptomanie hat. Könnte sie auch eine mörderische Manie haben?»
Miss Bowers antwortete prompt: «Du liebe Güte, nein! Nichts dergleichen. Das kann ich absolut beschwören. Die alte Dame könnte keiner Fliege etwas zu Leide tun.»
Die Antwort kam so überzeugt, dass eigentlich nichts mehr zu sagen blieb. Trotzdem schob Poirot sanft eine Frage nach. «Leidet Miss Van Schuyler vielleicht unter Taubheit?»
«Ja, das tut sie, Monsieur Poirot. Nicht dass man das in irgendeiner Weise bemerkt, wenn man sich mit ihr unterhält. Aber sie hört oft nicht, wenn man
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