Der Tod auf dem Nil
wünschen, meinen Patienten noch einmal zu sprechen? Aber ich sage Ihnen doch, das ist unklug. Er hat Fieber. Er hat heute schon mehr als genug Aufregung gehabt.»
«Nur eine Frage», sagte Race. «Mehr nicht, das garantiere ich Ihnen.»
Widerwillig trat der Arzt beiseite. Die beiden Männer gingen in die Kabine. Dr. Bessner drängte sich knurrend an ihnen vorbei. «Ich komme in drei Minuten wieder», sagte er. «Und dann – das garantiere ich Ihnen – verschwinden Sie!»
Sie hörten, wie er das Deck hinunterstapfte.
Simon Doyle sah fragend von einem zum anderen. «Ja?», sagte er. «Was gibts?»
«Nur eine Kleinigkeit», erwiderte Race. «Also, als die Stewards mir Meldung machten, erwähnten sie, dass Signor Richetti sich besonders aufgeführt hatte. Sie sagten, das wundere Sie gar nicht, da Sie ihn als leicht aufbrausend kennen und er auch einmal sehr grob zu Ihrer Frau gewesen sei. Es ging irgendwie um ein Telegramm. Können Sie mir den Zwischenfall etwas genauer erzählen?»
«Ganz einfach. Das war in Wadi Halfa. Wir kamen gerade vom zweiten Katarakt zurück. Linnet dachte, sie hätte ein Telegramm für sich am Brett entdeckt. Sehen Sie, sie hatte ganz vergessen, dass sie nicht mehr Ridgeway hieß, und Ridgeway und Richetti, das sieht ja ziemlich ähnlich aus, wenn es jemand mit einer Klaue schreibt. Also riss sie es auf, wurde aber nicht schlau draus, und während sie noch daran herumrätselte, kam dieser Bursche Richetti, grapschte es ihr aus der Hand und schäumte vor Wut. Sie ist noch hinter ihm hergelaufen, um sich zu entschuldigen, aber er hat sie furchtbar angepöbelt.»
Race holte tief Luft. «Und haben Sie eine Ahnung, Mr. Doyle, was in dem Telegramm stand?»
«Ja. Linnet hat es teilweise vorgelesen. Da stand –»
Er hielt inne. Draußen gab es Tumult. Eine schrille Stimme kam rasch näher. «Wo sind Monsieur Poirot und Colonel Race? Ich muss sie auf der Stelle sprechen! Es ist höchst wichtig. Ich habe lebenswichtige Informationen. Sind sie bei Mr. Doyle?»
Dr. Bessner hatte die Tür offen gelassen und nur den Vorhang zugezogen. Mrs. Otterbourne wischte ihn beiseite und fegte herein wie ein Wirbelsturm. Ihr Gesicht war knallrot, ihr Gang leicht wackelig, ihre Worte überstürzten sich. «Mr. Doyle», sagte sie dramatisch, «ich weiß, wer Ihre Frau umgebracht hat!»
«Was?» Simon starrte sie an.
Das taten auch die beiden anderen.
Mrs. Otterbourne bedachte alle drei mit einem triumphierenden Blick. Sie war glücklich – geradezu selig. «Ja», sagte sie. «Meine Theorien haben sich vollkommen bestätigt. Die tief verborgenen, uralten Urtriebe – das klingt vielleicht unmöglich – fantastisch –, aber es ist die Wahrheit!»
Race fragte barsch: «Verstehe ich Sie richtig, Sie sind im Besitz von Beweisen, wer Mrs. Doyle umgebracht hat?»
Mrs. Otterbourne setzte sich auf einen Stuhl, beugte sich vor und nickte heftig. «Sicher bin ich das. Sie stimmen doch zu, oder nicht, dass, wer immer Louise Bourget getötet hat, auch Linnet Doyle getötet hat – dass also beide Verbrechen von ein und derselben Person begangen wurden?»
«Ja, ja», sagte Simon ungeduldig. «Natürlich. Das liegt auf der Hand. Reden Sie weiter.»
«Dann stehe ich zu meiner Behauptung. Ich weiß, wer Louise Bourget getötet hat, und deshalb weiß ich, wer Linnet Doyle getötet hat.»
«Sie meinen, Sie haben eine Theorie, wer Louise Bourget umgebracht hat», korrigierte Race skeptisch.
Mrs. Otterbourne fuhr herum wie ein Tiger. «Nein, ich habe konkrete Kenntnis. Ich habe die Person nämlich mit eigenen Augen gesehen.»
Fiebernd schrie Simon sie an. «Um Gottes willen, erzählen Sie der Reihe nach. Sie kennen die Person, die Louise Bourget getötet hat, sagen Sie.»
Mrs. Otterbourne nickte. «Ich will Ihnen erzählen, was sich genau ereignet hat.»
Ja, sie war sehr glücklich – ohne jeden Zweifel! Dies war ihr Augenblick, ihr Triumph! Was machte es, wenn ihre Bücher sich jetzt nicht mehr verkauften, wenn das blöde Publikum, das sie einst gekauft und gierig verschlungen hatte, sich jetzt neuen Lieblingen zuwandte? Salome Otterbourne würde wieder in aller Munde sein. Ihr Name würde in allen Zeitungen stehen. Sie würde Hauptzeugin der Anklage im Prozess.
Sie holte tief Luft und begann. «Es war, als ich zum Mittagessen hinunterging. Mir war kaum nach Essen zu Mute – all das Entsetzen über die Tragödie vor kurzem… Nun, ich muss das wohl nicht vertiefen. Auf halbem Weg fiel mir ein, dass ich – äh
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