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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Geistwesen, und es mutete mir in meinem übermüdeten Zustand geradezu lächerlich an, dass man nicht in der Theologie, sondern am Grund der Wissenschaft, die fliegende Kanonenkugeln, herabstürzende Felsbrocken und die Kollision gleißender Feuerbälle erklären sollte, flackernde, durch das Universum irrlichternde Teilchen fand, die sich von der Stuhllehne bis zu meiner Hirnmasse in jede beliebige materielle Form kleiden konnten.
    Immer wieder wurden wir darauf gestoßen, wie wenig wir von der Fülle und Verwandlungsfähigkeit des Elementaren wussten. Die Winzigkeit und Flüchtigkeit der Teilchen führte die menschliche Beobachtungsfähigkeit an unüberschreitbare Grenzen. Wer dem Apfel dabei zusehen wollte, wie er vom Baum fiel, brauchte keinen Einfluss auf diesen Vorgang auszuüben. Wer jedoch die Position eines Teilchens bestimmen wollte, musste es wie ein Stück Wild erlegen. Das Partikelchen wurde mit einem Photon beschossen und erst durch den Treffer fixiert. Allerdings veränderten sich damit seine Bahn und seine Geschwindigkeit. Niemand konnte mehr angeben, woher es kam und wohin es unterwegs war. Es hatte seine Fähigkeit, an vielen Orten gleichzeitig sein zu können, und seine Welleneigenschaft eingebüßt. Die Messung machte es zu einem isolierten Korpuskel und gab uns ein Stück von der Welt zurück, die wir so gut verstehen konnten. Aber unser Eingriff bekam nur eine einzige Geschichte zu fassen, wo es ohne unsere Beobachtung unendlich viele gab. Und dasselbe galt nicht nur für ein Experiment dieser Art, sondern auch für die Geschichte unseres Universums: Sie war aus einem Knäuel unendlich vieler Stränge gewickelt, aus dem wir hin und wieder einen einzelnen Faden herauszogen, wenn wir Wissenschaft oder Philosophie betrieben.
    Im Gewirr der Teilchen herrschte zuunterst der Zufall, vereinzelte Elemente traten ins Nichts und verschwanden wieder. Wir wussten keinen Grund dafür anzugeben, und wenn wir auch manche Ereignisse, die sicher stattfinden würden, vorhersagen konnten, wussten wir nicht wann. Radium B würde in Radium C übergehen, allerdings gehorchte der Zeitpunkt dieses Formenwandels keiner weiteren Ursache, er vollzog sich aufs Geratewohl. Nur in einer größeren Anzahl von Ereignissen gewann man dem Zufall eine Regel ab, er verdickte sich zu Wahrscheinlichkeiten und schließlich zu Gesetzmäßigkeiten, aus denen wir unsere alltäglichen Gewissheiten bezogen, wie die, dass ein Glas zu Boden fallen konnte. Dabei war es nurunwahrscheinlich, aber nie ausgeschlossen, dass ein Mensch eine kompakte Mauer durchqueren könnte. Von der Sphäre der Teilchen bis zu der der Festkörper lagen Schichten mit unterschiedlichen Eigenschaften übereinander, und erst auf der obersten wandelten wir durchs Leben wie auf dem Eis eines zugefrorenen Sees. Für den tiefen Grund unter uns war uns weder Verstand noch Sprache gegeben.
    Die mondlose Schwärze draußen vor meinem Fenster war zu Tinte geworden. Durch die Spalten und Ritzen sickerte sie nach innen und hatte den Bereich um meinen Schreibtisch unkenntlich gemacht. Nur ein strahlender Kegel war noch auf meine Papiere gerichtet.
    Am Anfang stand wohl ein solcher Zufall von aus dem Nichts auftauchenden Teilchen, denen, woher auch immer, Energie verliehen war. Aufs Ganze gesehen war die Dauer dieser Teilhabe immer nur ein kosmischer Wimpernschlag, ob er nun Bruchteile von Millisekunden oder Milliarden von Jahre dauern mochte, denn es stand fest, dass das Geborgte irgendwann zurückgegeben werden musste. Auf das menschliche Herkommen ausgerichtet, fragten wir immer nur nach der Entstehung unseres Universums und beschränkten uns daher im Nachvollzug dieser Ereignisse zwangsläufig auf eine Geschichte von den unendlich vielen, die gleichzeitig stattfanden, stattfinden oder noch stattfinden werden. Für mich als einen auf Worte und Vergleiche angewiesenen Wissenschaftler unterschied sich die Schilderung, die ich entlang meiner Zahlen jetzt in bildhafter Klarheit durchleben konnte, nicht wesentlich von der eines Schöpfungsmythos.
    Am Anfang also war ein Prinzip oder auch nur ein Zeichen, einheitlich stark in seiner Art, ohne Schwäche und Makel, reine Kraft, aber eben noch ganz ohne Wirkung, weil es nichts gab, worin sie hätte wirken können. Gleichgültig, ob man das als Nichts oder Alles dachte, es war Eines und kannte in sich keine unterschiedenen Teile.Ich behalf mir mit der Vorstellung, dass diese Kraft sich selbst verschlang und ausspie, womit dann endlich

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