Der Tod bin ich
in unserer Geschichte ein erster Satz gegeben war, auf dem aufbauend alle weiteren folgen konnten. Damit trat aus dem Nichts ein Etwas, das sich in einen gleißenden Hitzeball aufsprengte und damit Raum und Zeit schuf. In dem einheitlichen Stoff des Urplasmas war alles von derselben Art und gehorchte einer Symmetrie. Erst mit seiner Aufblähung und der daraus folgenden Abkühlung bildeten sich Wirbel und Verklumpungen, in denen sich die eine Formel, die ich vor mir auf dem Papier stehen hatte, in vier Grundkräfte aufspaltete. Und der Mythos hatte recht, wenn er die Entstehung dieser Ordnung und Gestaltungen als Trennung eines Zusammengehörigen beschrieb. Ob man nun von einer Tendenz oder einem Sehnen der Elemente nach ihrem Gegenstück sprach, war gleichgültig. Es ließ sich zunächst keine Vereinigung mehr herbeiführen, denn ihre Bestimmung war von nun an der Zwiespalt.
Nie war das anders erzählt worden, als dass Heere aufmarschierten und sich in wogendem Getümmel ineinander verkeilten. Blitzende Klingen, schimmernde Brustpanzer und nickende Helmbuschen. Aus blutgetränkter Erde wuchsen unversöhnliche Gegensätze empor, alles hatte sich geteilt, war heiß oder kalt, hell oder dunkel, trocken oder feucht geworden. Wo das eine war, konnte das andere nicht sein. Trotzdem blieb die Bestimmung des Gemeinsamen immer erhalten und das Zwiegespaltene einander zwillingshaft verbunden, dabei aber so unvereinbar wie Ahura Mazda und Ahriman. Freilich, so hieß es im Mythos, könnte sich das Eine im Anderen erkennen, wären beide immer Gestaltung und flüchtige Form des Einen, aber solche frommen Wünsche umspielten nur die Grundwahrheit, dass alles in Teile zersplittert und verstreut liegen musste, weil sich nur so Werden und Entwicklung statt Rückkehr ins Nichts ereignete.
Am Ende dieser Geschichte war der Urimpuls in seinen Gestaltungenverschwunden, hatte sich eine Außenhülle gebildet, auf der der Mensch durchs Leben wandelte. Wenn man sich alles zusammen und gewissermaßen in eins vorzustellen versuchte: das Nichts, das Etwas und das Werden, wenn man hinzufügte, dass alles endlich, dabei aber unbegrenzt sein sollte, konnte man kein anderes Bild gewinnen als das einer rotierenden Kugel, auf deren Oberfläche die Holzlokomotive meiner Kindheit ebenso Platz fand wie die Armspange des Achilles, aber auch das Lachen Alexander des Großen beim Anblick von Amun-Re und der Abwurf von Little Boy über Hiroshima. Und natürlich auch mein künftiger Tod, den ich einmal sterben würde.
33.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Schreibtisch und war eingeschlafen. Mein Nacken schmerzte, die linke Gesichtshälfte, die auf der Tischplatte ruhte, war taub. Ich richtete das Licht meiner Schreibtischlampe auf die Uhr. Inzwischen war es vier Uhr morgens. Mit Zahlen und Formeln bedeckte Papiere waren um mich herum ausgebreitet. Vieles davon hatte sich als Irrweg erwiesen, manches blieb eine notwendige Herleitung. In meiner Schublade befanden sich Schokoladenkekse, die ich heraussuchte. So gestärkt ging ich ans Aufräumen. Ich riss das Unbrauchbare in Schnipsel, die niemand entziffern konnte. Was blieb, war ein Konvolut von sieben Seiten, die ich in einer Mappe zusammenheftete.
Ich packte sie in meine Tasche und wollte mich auf den Weg nach Hause machen. Dort erwartete mich endlich ein bequemes Bett, vielleicht auch Ella. Doch dann fuhr ein jähes Erschrecken in diese angenehmen Gedanken. Ich sah Salantino vor mir, der in meine Wohnung eingedrungen war und es sich auf dem Sessel bequem gemacht hatte. Oder Helmut fing mich auf dem Nachhauseweg ab und zwang mich zu Malikow. Man hatte mich unter Beobachtung undwusste daher, dass ich etwas ausarbeitete. Ratlos ließ ich mich auf den Schreibtischstuhl zurücksinken. Was immer ich durchdachte, erwies sich rasch als unbrauchbar, es würde sich kein besserer Ort finden, um die Resultate meiner Bemühungen sicher zu verwahren, als mein Kopf.
Ich holte noch einmal Papier hervor und begann, die sieben Seiten in Notenschrift zu übersetzen. Bei der Überschrift zögerte ich, schließlich schrieb ich
Großer Kanon
, gerne hätte ich ihn Kaltenbrunner in Erinnerung an unser gemeinsames Musizieren gewidmet, aber ich wollte keine Spuren legen. Obwohl es so spät war, arbeitete ich langsam und sorgfältig. Diese nur mir zugängliche Notation sollte die einzige bleiben, ich war fest entschlossen, die Klarschrift meiner Arbeit zu vernichten. Um sechs Uhr hörte
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