Der Tod bin ich
Einladung an Selma war ein voller Erfolg gewesen. Sie war, wie er mit einem inneren Beben nachempfand, dahingeschmolzen. Sie hatte, das wusste er nun, lange darauf gewartet. Sie war zudem in ihn verliebt. So wie er in sie. All das war jetzt so deutlich sichtbar wie durch eine Glasscheibe hindurch, deren trüben Beschlag man endlich abgewischt hatte. Freier Blick auf etwas, das sich schon immer dahinter befunden hatte? Rothfuss war unsicher. An ihrer Verliebtheitkonnte es keinen Zweifel mehr geben, aber diese Gefühle hatten sich mit einer solchen Plötzlichkeit und Stärke eingestellt, dass er sich fragte, warum er das nicht schon früher bemerkt hatte. Um dessen gewahr zu werden, passierte nichts weiter, als dass er im Begriff stand, sie zu fragen, ob sie mit ihm ausgehen wolle.
– Selma?
Sie gab ihrem Drehstuhl einen Schubs und sah ihm direkt in die Augen. Wer Puderzucker auf einem Kuchen wahrzunehmen imstande war, musste den zarten Schmelz bemerken, der ihr Gesicht mit einer Glanzschicht überzog, aber nur er erkannte darüber hinaus ihre erwartungsvolle Verletzlichkeit, eine Bitternote, die wirkliche Liebe mit sich brachte. Alle Strategien waren damit wie weggefegt, die kümmerlichen Reste, die noch übrig blieben, taugten nur noch als Erinnerungszeichen seiner Blindheit.
Sie trafen sich im
Bubbles
, einer Bar, die von GIs besucht wurde. Später wollten sie noch etwas essen gehen. Nach zwei
Tequila Sunrise
hielten sie Händchen. Das Lokal füllte sich zusehends, es wurde heiß und die Hände wurden feucht, aber keiner wollte von dem anderen lassen. Mit dem Essen würde es nichts mehr werden. Ungefragt setzten sich weitere Gäste an den Tisch, Rothfuss machte das nichts aus, denn Selma rückte immer näher an ihn heran. Endlich gab er seine unnatürlich verkrampfte Haltung auf und legte den Arm um sie.
Vorne auf der Bühne machten sich die
Blossom Five
bereit. Als sie loslegten, stürmte das Publikum die Tanzfläche. Bis auf kleine Lämpchen wurden die Tische und Sitzflächen verdunkelt, und Scheinwerfer begannen über das Knäuel der Tanzenden zu streichen. Schließlich erfasste der Lichtstrahl nur noch die Discokugel, die sich wie ein Mond aus Silbersplittern über den Paaren drehte. In einem dicht gewirkten Netz zogen gleißende Ovale die Wände entlang. Die Musik war so laut, dass Gespräche unmöglich wurden. Rothfuss fühltesich hinweggetragen. Durch die verwirrenden Reflexe und die Stummheit schien sich alles zu entschleunigen, sie waren Fische in einem Aquarium, schwammen gemächlich umher und öffneten ihre Münder, um unhörbare Worte wie Luftblasen nach oben zu entlassen. Die Zeit wäre stillgestanden, wenn er sich nicht immer wieder mit einem Lächeln an Selma zu wenden versucht hätte, um sich ihrer Gegenwart zu vergewissern.
Schließlich sprang sie auf und sagte ihm etwas ins Ohr. Dann packte sie ihn an beiden Händen und zog ihn hoch. Er verstand, dass sie tanzen wollte. Bald hatte es Rothfuss aufgegeben, auf seine Tanzbewegungen zu achten, das rhythmische Miteinander ergab sich in der drangvollen Enge wie von selbst. Man wiegte und bog sich auf kleinstem Raum, rieb sich an den schweißfeuchten Rücken oder den Armen der Mittänzer und verschmolz mit der Menge.
Eine füllige Schwarze im langen Paillettenkleid betrat die Bühne.
Greta Hitchens
wurde als Gastsängerin angekündigt. Die erste Nummer, die sie in ihrem voluminösen Alt darbot, war ein Slow Blues. Selma schlang beide Arme um seinen Hals. Ihren erhitzten und nass geschwitzten Körper an sich zu fühlen empfand Rothfuss als berauschende Intimität. Er umfing ihre Hüften und ließ seine Hände auf der Suche nach einem Halt auf dem glatten, eng anliegenden Kleid nach unten gleiten. So strich er, fast ungewollt, über ihren Po. Sie ließ es nicht nur mit sich geschehen, sondern stellte sich auf die Zehenspitzen, um sein Ohr erreichen zu können.
– Ich trage nichts darunter.
Rothfuss erstarrte. Die Vorstellung dieses Nichts raubte ihm den Atem. Wie ein Sturzbach prasselte Begierde in vielfältigen, flüchtigen Formen auf ihn herab. Nichts, das hieß, dass sie ihn nicht abwehren würde, dass sie seine Berührungen vielmehr erwartete und erleichtern wollte. Er fühlte das Blut in seinen Kopf steigen.
Etwa eine halbe Minute dauerte es, bis Rothfuss merkte, dass eineschwere Hand auf seiner Schulter lag. Diese Wahrnehmung gelang ihm auch nur deshalb, weil sich Selma überraschenderweise aus seinen Armen löste.
– Sergeant
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