Der Tod bin ich
teilte mir mit, man freue sich, mir eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft zum Wintersemester neunzehnhundertachtundfünfzig anbieten zu können. Tante Frieda umarmte mich.
– Aber schade, dass du uns schon wieder verlässt, sagte sie.
Leni war aus der Küche in die Tür getreten und trocknete ihre Hände an der Schürze ab.
Noch am selben Nachmittag schrieb ich zurück, ich sei glücklich, in diese Position eintreten zu dürfen. Verabredungsgemäß wollte ich zum September meine Arbeit im Physikalischen Institut aufnehmen.
Nachts kam Leni. Diesmal hatte ich ihren Besuch gefürchtet. Sie wehrte alle Erklärungen ab. An Ausflüchten sei sie nicht interessiert. Sie habe ohnehin gewusst, dass das mit uns nichts von Dauer sein könne. Dennoch krallte sie sich in meinen Rücken und kratzte mir blutige Striemen.
– Adieu, sagte sie, als sie mich verließ.
Ich verstand, dass dies unser letztes Zusammensein gewesen war.An dem freundlichen Umgang mit mir untertags änderte sich nichts. Zu meiner Konfirmation hatte ich ein silbernes Kettchen bekommen, das ich um den Hals trug. Ich packte es in einen Umschlag und legte ihn auf ihren Nachttisch. Sie gab nicht zu erkennen, ob sie sich über das Andenken freute, aber sie behielt das Kettchen.
14.
Die Zeit in Freiburg, die mir noch blieb, war nun durch die glänzenden Aussichten vergoldet, die sich mir eröffnen würden. Mein weiterer Fortgang war geregelt. Vorzubereiten gab es nichts. Mein ganzer Umzug würde darin bestehen, wieder den großen hellbraunen Koffer mit den ausgeleierten Schnappverschlüssen zu packen. Ich wollte daher die Wochen, die ich noch zu freier Verfügung hatte, für eine Reise nutzen. Tante Friedas Angebot, meine Kasse aufzubessern, lehnte ich ab. Sie bestand dann aber darauf, mir wenigstens einen Gärtnerlohn zukommen zu lassen, weil ich ihren Obst- und Gemüsegarten in Schuss gebracht und mir das Geld redlich verdient hätte. Im Speicher fand sich dazu noch ein Rucksack, der zur Hinterlassenschaft ihres Mannes gehörte.
Am liebsten hätte ich die Weltausstellung in Brüssel besucht, die seit April geöffnet war. In einer Illustrierten hatte ich Bilder vom sowjetischen Pavillon mit einer großen Lenin-Statue in der Mitte gesehen. Die Exponate aus der Raumfahrt, vor allem das Modell des Sputnik, hätten mich brennend interessiert. Ich hatte jedoch Angst, mich in den Einflussbereich derer zurückzubegeben, vor denen ich geflohen war.
Ich ging zum Hauptbahnhof, um mich beraten zu lassen. Das Problem war schnell gelöst, wenn ich ein bisschen Komfort wollte, reichte mein Geld allenfalls für eine kleinere Reise, und dafür kam nur Straßburg infrage, das ich auch als eines meiner Wunschzielegenannt hatte. Immerhin Ausland, immerhin Frankreich. Ich kaufte eine Rückfahrkarte und behielt noch so viel zurück, dass die Übernachtungen in einer Jugendherberge und Verpflegung gedeckt waren.
An einem heißen Augusttag machte ich mich morgens auf den Weg zum Bahnhof. Drei Blocks weiter kam mir ein Radfahrer entgegen. Seine Hosenbeine waren mit Klammern gesichert. Ich bildete mir ein, ihm schon des Öfteren begegnet zu sein. Aber ich mochte mich irren. Voll Vorfreude bestieg ich den Zug.
15.
Die Bremsen kreischten, ein letzter heftiger Ruck und der Zug stand. Aaron Malikow blickte aus dem Fenster. Karlsruhe. Das bedeutete gut eine halbe Stunde Aufenthalt. Malikow verglich seine Armbanduhr mit der großen Uhr am Bahnsteig. Erst jetzt stellte er erschrocken fest, dass er vergessen hatte, seine Pobeda gegen die unverfängliche Junghans auszutauschen. Gerade solche Kleinigkeiten waren es, die ihn für einen aufmerksamen Beobachter verdächtig oder eben unverdächtig machten. In der sowjetischen Besatzungszone, aus der er kam, war eine Uhr sowjetischer Bauart angeraten. Im Westen fiel er damit auf.
Malikow stieg aus dem Zug. Zunächst suchte er eine Telefonzelle auf. Onkel Andrej sei wohlauf und habe heute das Haus ohne fremde Hilfe für einen Spaziergang verlassen können, hieß es. Endlich wieder einmal eine gute Nachricht! Seine Zielperson war also nach Straßburg unterwegs. Und offenbar war ihr sonst niemand auf den Fersen.
In der letzten Zeit gab es einige Rückschläge zu verkraften. Die Abhöranlage in der Clayallee war entdeckt worden, und damit existierte kein Zugang zu dem, was der junge Agent aus Langley und seine Leute planten. Aber Malikow hatte es ohnehin für keine gute Ideegehalten, Droste, einen ehemaligen SS-Mann, anzuwerben.
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