Der Tod bin ich
sogar das Platonische Jahr, einen Zyklus von knapp sechsundzwanzigtausend Jahren berechnen konnte. Es war schwer vorstellbar, dass sich ein Getriebe über diesen großen Zeitraum hin vorwärts bewegte. Darüber hinaus war die Uhr so ausgelegt, dass sie eine Spanne von nahezu hunderttausend Jahren bewältigen konnte.
Schon diese Details eröffneten einen Einblick in das Bemühen des Konstrukteurs Jean-Baptiste Schwilgué, der in kaum geringeren Dimensionen als denen der Ewigkeit dachte und baute. Wenn solche Zeitspannen auch mathematisch wenig mit Unendlichkeit zu tun hatten, überschritten sie doch unsere Lebenszeit um ein so Vielfaches, dass man hier doch von Ewigkeit reden durfte. Dass er zudem in seinen Apparat Teile verbaute und sie mit einem Mechanismus ausstattete, an denen Jahrtausende spurlos vorübergehen sollten, das allein schon musste man als den Versuch begreifen, den Tod zu überwinden. Dennoch hatte Schwilgué den Knochenmann zum Darsteller und Herrscher seiner Uhr gemacht. Aber seine eigentliche Botschaft lautete doch ganz anders: Mochte der Tod auch über die Lebenszeit der Menschen gebieten, brach sich seine Macht an einerApparatur, die Teilhabe an den beständigen Gesetzen des Weltalls beanspruchte und auf die daher derselbe Abglanz Gottes fiel.
Die Besucher raunten. In der oberen Etage der Uhr bewegte sich ein gebeugter Greis aus dem Inneren. Langsam schob er sich in die Mitte, wo Gevatter Tod mit zwei Glöckchen stand. Mit seiner Krücke hieb der Alte vier Mal auf das linke Glöckchen. Dann schlug der Tod selbst den Takt und ließ einen Knochen zwölf Mal auf das rechte Glöckchen fallen. Nun begann der Zug der zwölf Apostel, die vor ihrem Herrn und Meister das Haupt neigten, bevor sie zur andren Seite hin abgingen. Schließlich schlug der Hahn dort oben die Flügel. Der Balg in seinem Hals blähte sich auf und endlich krähte er drei Mal, um an den Verrat des Petrus zu erinnern.
– Nett, sagte eine Stimme hinter mir. Aber wohl nicht das Eigentliche dieses Apparats, wenn ich Ihren Blick richtig interpretiere.
17.
Ich drehte mich um. Ein junger Mann, blass, mit schwarzem zurückgekämmtem Haar stand hinter mir.
– Gestatten: Aaron Malikow.
Malikow war gut gekleidet und roch nach Rasierwasser.
– Verstehen Sie etwas davon?
Ich nickte.
– Fachmann?
– Physiker.
Endlich hatte ich meine Sprache wiedergefunden. Malikow lächelte.
– Dann erklären Sie mir den Apparat.
Malikow musterte mich aufmerksam. Wahrscheinlich bemerkte er meinen abgetragenen Rucksack.
– Natürlich nicht umsonst!
Meine Zurückhaltung schwand. Ich nickte. Die Möglichkeit, meine Reisekasse aufzubessern, war mir durchaus willkommen.
– Was möchten Sie wissen?
– Einiges habe ich bereits nachgelesen. Fangen wir doch mit dieser Scheibe an.
Malikow klappte seinen Führer zu.
– Der ewige Kalender. Auf dem rotierenden Blatt sind die Namenstage der Heiligen sowie alle beweglichen Feste des Kirchenjahrs aufgeführt. Auch Schaltjahre werden registriert und dann ein zusätzlicher Tag eingeschoben. Diese alljährlichen Änderungen werden zum Glockenschlag Mitternacht in der Silvesternacht vorgenommen.
– Und in der Mitte? Dort heißt es doch: scheinbare Zeit. Ich wusste gar nicht, dass uns die Zeit belügen kann.
– Tut sie auch nicht. Richtig zu sagen wäre: erscheinende Zeit. So wie sie hier in Straßburg am Himmel erscheint. In Paris wäre das bereits eine andere. Unsere gängige mittlere Zeit weicht davon ab, sie ist ja nur eine Konvention, die uns das Leben erleichtert.
Malikow lächelte und schaute auf seine Uhr, die er am Handgelenk trug.
– Dass wir pünktlich zum Mittagessen kommen?
– Zum Beispiel.
– Hübsch das Ganze. Aber für die religiösen Feste – kaufe ich mir da nicht lieber ein frommes Kalenderchen?
Ich schüttelte den Kopf. Auf plumpe Scherze über die von mir so geschätzte Apparatur wollte ich mich nicht einlassen.
18.
Als Selma in sein Zimmer kam, sah Joe sofort, dass sie schlechte Nachricht hatte.
– Oftenhain ist weg.
– Was heißt das: Er ist weg? Wo denn?
Sie zuckte die Achseln.
– Genau wissen wir das nicht. Razor hat nur kurz durchgegeben, dass er seit zwei Tagen nicht mehr in Freiburg ist.
Joe Salantino hatte die Beine auf seinen Schreibtisch gelegt und wippte nervös mit den Fußspitzen. Er versuchte, die aufkommende Unruhe in sich niederzukämpfen.
– Ist es wichtig, dass wir seinen Aufenthaltsort kennen, fragte Selma.
– Ich habe ihn erst vor
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