Der Tod bin ich
ein Nachbau. Daran verstehen wir, was uns in der Physik immer noch fehlt.
– Und das wäre?
– Nachvollziehen zu können, wie eine Handvoll Prinzipien, wie einfache Kräfte so aufeinander einwirken, dass das Universum entstehen konnte und sich fortpflanzt. Der kosmische Mechanismus wird von einer einheitlichen Kraft gelenkt, die hinter allem steht und die sich in die unterschiedlichsten Erscheinungen übersetzt und in die vielfältigsten Formen hinein verzweigt. Wenn wir das gedanklichso beherrschen könnten, wie es uns die Uhr vorführt, dann hätten wir die letzten Geheimnisse des Universums entschleiert.
– Was wüssten wir dann?
– Wir hätten die Weltformel.
Malikow lachte höflich.
– Klingt für mich etwas weit hergeholt.
Er lächelte spöttisch. Offenbar nahm er die Bemerkung nicht ernst.
– Ach was! Einstein hat daran gearbeitet. Petri und Kaltenbrunner stehen, wie man hört, kurz vor einer Lösung. Das ist harte Wissenschaft und keine Fiktion. Es ist schlicht der nächste Schritt, den die Physik zu vollziehen hat.
22.
Malikow blieb freundlich und zuvorkommend. Dennoch schien er mir nicht wirklich an dem interessiert, was ich ausführte. Seine Aufmerksamkeit war bemüht, aber flüchtig. Ich fühlte mich unwohl und hoffte, das Essen bald hinter mich gebracht zu haben.
Malikow hob die Hand, um ein Dessert zu ordern. Er bestellte Kougelhopf und Kaffee.
– Müssen Sie probieren.
Anschließend beglich er die Rechnung. Ich war erleichtert. Ich wollte mich ein wenig schlafen legen, um anschließend ausgeruht an die weitere Besichtigung zu gehen.
– Mein Wagen steht nicht weit von hier. Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?
Ich schüttelte entschieden den Kopf.
– Bemühen Sie sich nicht. Die Jugendherberge, in der ich untergebracht bin, ist im Gerberviertel, ganz im Geflecht dieser verwinkelten Gässchen. Mit dem Wagen bräuchten Sie wahrscheinlich einen Lotsen.
Malikow deutete eine Verbeugung an.
– Haben Sie vielen Dank für die Mühe, die Sie sich mit mir gegeben haben.
Ich gab vor, mir noch die Hände waschen zu müssen. Tatsächlich wollte ich nur sicherstellen, dass Malikow und ich nicht denselben Weg nehmen würden. Als ich dann aus dem Lokal trat, stellte ich erleichtert fest, dass mein Begleiter verschwunden war. Ich schulterte meinen Rucksack und verschwand in einem der schmalen Gässchen, von denen ich annahm, dass kein Auto hindurchkommen würde.
Die Hitze war inzwischen brütend geworden. Fast alle Geschäfte hatten über Mittag geschlossen und auch sonst war kaum Betrieb auf der Straße. Am Ende der Gasse hockte ein Mann auf den Stufen eines Hauses und rauchte. Ich erschrak. Mir war, als hätte ich sein rundes Gesicht und das krause Haar schon in Freiburg gesehen. Ich dachte an den Radfahrer, der mir auf dem Weg zum Bahnhof entgegengekommen war. Seine Hosenklammern waren mir noch deutlich vor Augen, sein Gesicht nur mehr verschwommen präsent. Als ich an ihm vorbeiging, zwinkerte er mir freundlich zu und schnippte seine Kippe auf das Pflaster. Wie ich die kreuzende, größere Straße überqueren wollte, sah ich einen blauen Taunus mit weißem Dach auf mich zukommen. Einen Moment glaubte ich, Malikow am Steuer zu erkennen. Dann spürte ich einen dumpfen Schlag am Hinterkopf, stürzte nach vorne und verlor das Bewusstsein.
23.
Ich erwachte. Vorsichtig betastete ich den wunden Schädel. Eine große Beule hatte sich aufgeworfen. Als ich mich aufrichtete, spürte ich einen stechenden Schmerz.
– Hätten Sie sich freiwillig chauffieren lassen, dann hätten wir uns das erspart.
Die Stimme kam vom Tisch her und gehörte Malikow. Ich nahm die ganze Szenerie nur verschwommen wahr.
– Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!
Jemand half mir auf. Ich erkannte den rundköpfigen Mann aus der Gasse. Er fasste mich unter den Achseln und setzte mich auf den Stuhl.
– Bring ihm Aspirin und mir einen Kaffee.
Malikow stellte ein braunes Schächtelchen auf den Tisch, das wie ein Geschenk verpackt war. Er zog die rote Schleife auf.
– Wir hatten sogar noch Zeit, die Confiserie am Münsterplatz zu besuchen. Köstlich! Bedienen Sie sich, so etwas haben Sie in Leipzig nicht bekommen.
Eine jähe Verzweiflung kam in mir hoch. Ich sah den Beamten im Ledermantel vor mir, der meinen Vater abgeholt hatte. Malikow beobachtete meine Reaktion. Um keine Schwäche zu zeigen, konzentrierte ich mich und versuchte, dem Blick meines Gegenübers standzuhalten. Alle Freundlichkeit war von ihm
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