Der Tod bin ich
also, geht doch! Und er hat ihn dort angetroffen?
– Nicht ganz. Razor hat dem französischen Dienst in Algerien einen Gefallen getan …
Genervt blickte Joe sie an.
– Selma, tu mir einen Gefallen und verschone mich mit weitschweifigen Erklärungen.
– Dann nennen wir es eben Amtshilfe, sagte Selma. Sie haben die Straßburger Gendarmerie losgeschickt. Die hat ihn ausfindig gemacht und bei dieser Gelegenheit seine Papiere kontrolliert.
– Das hört sich gut an.
– Und jetzt?
– Wann kommt er zurück?
– Die Rückfahrkarte ist auf morgen datiert.
– Dann soll Razor ihn im Auge behalten, wenn er wieder in Freiburg angekommen ist.
Selma nickte und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu. Zufrieden ließ sich Joe in seinen Stuhl zurücksinken.
25.
Anfang September siedelte ich nach Zürich um. Frau Vogelsang vom Sekretariat des Instituts gab mir den Hinweis auf ein möbliertes Zimmer, in dem ich mich einmieten könne. Die Hauswirtin, eine Witwe, überlasse das Zimmer vorzugsweise Universitätspersonal. Ich ortete die Adresse auf dem Stadtplan. Der Predigerplatz war ideal gelegen, von dort aus war das Stadtzentrum zu Fuß ebenso gut erreichbar wie das Physikalische Institut.
Die Schweiz zeigte sich als eine intakt gebliebene Welt, die von den Verheerungen des Weltkriegs verschont geblieben war. Zürich war eine Stadt ohne Ruinenfelder und bauliche Provisorien, wie ich sie von Deutschland her kannte. Außen wie innen machten die Häuser einen reinlichen Eindruck. Das hell gestrichene, dreistöckige Bauwerk an der angegebenen Adresse wirkte dazu noch gediegen. Frau Hetzenecker, eine rundliche Frau mittleren Alters, öffnete mir die Tür. Über ihr blaues Kleid hatte sie eine weiße Schürze gebunden. Ein appetitlicher Geruch von frischem Kuchen durchzog die Wohnung. Sie zeigte mir das Zimmer, das neben Bett und Waschgelegenheit auch einen geräumigen Schreibtisch aufwies. Vom Fenster aus hatte man einen Blick auf den Platz und die gegenüberliegende Kirche. Ich zögerte keinen Moment und sagte, ich würde mich freuen, einen so schönen Raum mieten zu können. Frau Hetzenecker nahm das Kompliment mit einem Lächeln entgegen, sie hatte offenbar nichts anderes erwartet.
Dann führte sie mich in ihr Wohnzimmer, wo sie zum Kaffee aufgedeckt hatte. Auf dem Tisch stand ein hoher, dunkel gebackener Apfelkuchen, aus dem sich die in Würfelmustern geschnittene Oberfläche der Früchte herauswölbte. Sie goss mir aus der bauchigen Kanne ein. Überraschenderweise war es Malzkaffee, den ich ungesüßt trank, da Zucker offenbar nicht vorgesehen war. Aber auch so machte alles einen üppigen Eindruck. Ich war an Mangelernährung gewöhnt. Während meines Studiums hatte ich mich wochenlang ausschließlich von Kartoffeln, Dauerwurst und Fettbemmen ernährt.
Frau Hetzenecker tat mir ein Stück Kuchen auf. Der Teig war duftig, dabei aber gehaltvoll wie ein Lebkuchen.
– Es schmeckt Ihnen?
Ich kaute noch mit vollen Backen und nickte daher heftig.
– Bei mir wird nach den Lehren von Dr. Bircher-Benner gelebt. Viel Frisches mit reichlich Sonnenenergie. Kaum Fleisch, stattdessen Vollwertkost. Genussgifte wie Kaffee und Alkohol sind verboten.
Ohne Scheu lupfte sie mein Jackett.
– Sie sind mager wie ein Hühnchen. Wir werden zusehen, dass Sie etwas auf die Rippen bekommen.
Ihr Mann, erzählte sie, habe sich oben in dem Sanatorium auf dem Zürichberg behandeln lassen. Vergeblich allerdings. Gegen einen Magenkrebs vermochte auch Rohkost nichts auszurichten. Herta Hetzenecker war jedoch davon überzeugt, dass die Gier auf Fleisch ihren Gatten das Leben gekostet hatte und er zu retten gewesen wäre, wenn er sich nur früh genug auf gesunde Ernährung umgestellt hätte.
Mir waren ihre diätetischen Prinzipien ziemlich egal, wenn diese Kost so gut schmeckte wie ihr Kuchen, dann war ich im Schlaraffenland gelandet. Betrachtete man sie etwas näher, musste man einräumen, dass Bircher-Benners Lehren bei ihr gut anschlugen. Frau Hetzenecker hatte angenehme Rundungen, eine faltenlose Haut und rote Bäckchen.
– Sie können sofort einziehen, sagte sie und schenkte mir erneut ein Lächeln.
26.
Mitte September war es endlich so weit. Frau Vogelsang überbrachte mir die Nachricht, Professor Petri wolle mich am nächsten Tag zu einem ausführlicheren Gespräch treffen. Petri war ein hochdekorierter und stets viel beschäftigter Wissenschaftler, der sich seiner auswärtigen Verpflichtungen wegen am Institut rar machte.
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