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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Ende des Jahres, so hatte es sich herumgesprochen, sollte ihm in Hamburg die Max-Planck-Medaille verliehen werden. Ich wusste davon, denn Pfister, sein Assistent, trug mir die Erledigung einiger Berechnungen auf, deren Ergebnisse der Professor für seine Hamburger Vorträge benötigen würde. Offenbar hatte ich diese Aufgaben zu seiner Zufriedenheit erledigt, sodass er mich nun empfing.
    Schon die Ankündigung der Unterredung machte mich nervös. Mein Kopf fühlte sich schlagartig leer an, alles zuvor Zurechtgelegte hatte sich verflüchtigt. Anderntags setzte ich mich morgens in die Bibliothek, um mir zu dem Gespräch Notizen zu machen. Dort hatte ich Petris letzte Veröffentlichungen zur Hand, die ich noch einmal gründlich durchging. Er hatte sich zuletzt vor allem den grundlegenden Symmetrien im Aufbau der Elementarteilchen gewidmet, für die er mathematische Formalismen entwickelte. Dabei postulierte er ein Theorem, dass solchen Symmetrien der Rang eines Naturgesetzes zugesprochen werden müsse. Allerdings wurde diese Auffassung durch neuere Untersuchungen schwer erschüttert: Beim radioaktiven Zerfall von Atomkernen kamen die ausgesendeten Teilchen, die Neutrinos, nur in der Linksform vor statt wie erwartet in ebenso großer Anzahl in der Rechtsform. Die Atomphysiker und vor allem Petri fühlten sich durch die festgestellte Verletzung der Spiegelsymmetrieherausgefordert und versuchten das Loch zu stopfen, das sich so unvermutet aufgetan hatte.
    Ich hatte mich mit dem Problem der Symmetrie schon seit Langem beschäftigt. Auch weil Symmetrie ein Begriff war, der erst richtig zu funkeln begann, wenn er aus seinem mathematischen Korsett herausschlüpfte. Im Ebenmaß begegnete uns schließlich Schönheit und wurde sinnlich erfahrbar, ohne dass man mit Lineal oder Zirkel hätte nachmessen müssen. Die Natur wiederum benutzte vor allem im chemischen Mikrokosmos solche Prinzipien als Bauplan. Daraus ließ sich für die Weiterentwicklung der Wissenschaft lernen. Der Gang der Erkenntnis hatte uns gezeigt, dass man in der Physik nach den Regeln der Symmetrie auf Unbekanntes, nie Gesehenes schließen konnte, weil man zu jedem Teilchen, das nachgewiesen werden konnte, einen Antipoden denken musste. Im Großen war uns das ohnehin geläufig: Unsere Welt und alles, was auf ihr passierte, wurde erst dann vollständig, wenn zur Sache die Widersache trat. Wenn das eine stattfand, ergab sich die Existenz des anderen ebenso zwingend. Zum Leeren trat das Volle, zum Hellen das Dunkle, zum Guten das Böse, zu Gott der Teufel. Keine unserer Kategorien stand für sich alleine. Das Verharren bei solchen grundlegenden Dualitäten führte jedoch leicht in die Irre, denn der physikalische Begriff der Symmetrie lehrte uns, dass ein Gleichmaß immer etwas Gemeinsames in verschiedenartigen Erscheinungen darstellte, das Wesen in der Vielfalt. Wenn Materie auf Antimaterie traf und beide sich aufhoben, entstand kein Nichts, sondern reine Energie, die sich anschließend in einem erneuten Formenwandel wieder verkörperte.
    In meinem Sinnieren und Grübeln hatte ich gar nicht gemerkt, dass Petri hinter mich getreten war. Er gab mir einen jovialen Klaps auf die Schulter, der mich auffahren ließ. Etwas verlegen schüttelte ich ihm die Hand. Er winkte mir, ihm in sein Büro zu folgen.
    – Endlich finden wir einmal Zeit für ein Gespräch. Setzen Sie sich!
    Ich hatte schon ein Foto von Petri gesehen. Klein und gedrungen stand er darauf hinter dem Rednerpult. Er galt als Genussmensch. Dass er jedoch korrekt und diszipliniert war, sah man auf Anhieb. Sein Anzug saß tadellos. Trotz seiner Figur warf das Jackett keine Falten, auf dem Revers war kein Stäubchen zu sehen. Er nahm hinter seinem Schreibtisch auf einem Sessel Platz.
    – Wie gefällt Ihnen Zürich, Herr Oftenhain? Schon in der Limmat geschwommen?
    Ich schüttelte den Kopf. Allerdings war mir aufgefallen, dass abends an einem der letzten heißen Tagen wie auf ein geheimes Kommando hin mit Bademänteln und Handtüchern ausgestattete Anwohner aus ihren Häusern traten und zum Fluss hinuntergingen, um dort zu schwimmen.
    Ich musterte Petri. Er sah aus wie das blühende Leben. Die letzten Wochen, so hieß es, habe er fast ausschließlich in Italien verbracht. Er hatte zunächst in einer Sommerschule am Gardasee referiert und war dann weitergefahren, um in der Nähe von Pisa am Meer zu urlauben. Die gut durchblutete Gesichtshaut zusammen mit seiner Restbräune verstärkten den Eindruck eines

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