Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
in seine übergroßen Pantoffeln und sagt zu seinem Vater: »Sonst bin ich um diese Zeit schon seit Ewigkeiten im Bett.« Er reibt sich mit den Handrücken die entzündeten, trüben Augen. »Meine Augen brennen.«
    »Okay, Bunny Boy, also ich bleib dann noch hier sitzen«, erwidert sein Vater mit einer vagen, kreisenden Handbewegung, die Bunny Junior nicht deuten kann.
    »Naja, ich geh dann mal ins Bett, Dad«, sagt der Junge, steht auf und sieht auf seinen Vater runter, der wieder wie gebannt auf den Fernseher starrt. Zwei geölte und steroidgestählte Gladiatoren mit Lycra-Sport-BHs dreschen mit styroporummantelten Knüppeln aufeinander ein. Sie tragen Gesichtsmasken, sodass nicht zu erkennen ist, ob es Männer oder Frauen sind, die sich da anknurren und verprügeln. Bunny Junior überlegt, ob er doch noch bleiben und sich das ansehen soll, aber dann sagt er: »Gute Nacht, Dad.«
    Übertrieben vorsichtig steigt er über die zerfetzten Kleider, die wie schlafende Tiere im Wohnzimmer liegen, als könnte er sie durch einen falschen Schritt wecken. Er kommt in den Flur, wo sich die Coco Pops durch den traurigen Trubel des Tages in den Teppich eingetreten haben, und geht auf sein Zimmer zu. Entsetzt sieht er aus dem Augenwinkel die geschlossene Tür des Elternschlafzimmers. Im Schloss steckt wie ein stummer Vorwurf der Schlüssel. Bunny Junior presst die Lippen zusammen und kneift die Augen zu. Er beschließt, sie erst wieder zu öffnen, wenn er in seinem Zimmer in Sicherheit ist. Den Rest des Weges tastet er sich wie ein Blinder an der Flurwand entlang. An seiner Zimmertür angelangt, berührt er das mit Patafix angeklebte Poster eines Comic-Hasen, der den Stinkefinger zeigt, und fährt mit den Fingern über die Plastikbuchstaben: B-U-N-N-Y J-N-R. Er drückt die Tür auf, geht in sein Zimmer und öffnet erst dann die Augen.
    Bunny Junior zieht seinen Schlafanzug an, schlägt die Bettdecke zurück und legt sich hin. Dann reckt er sich nach dem Schalter und löscht das Licht. Der Fernsehapplaus aus dem Wohnzimmer hat etwas Beruhigendes, und der Junge ist froh, dass sein Dad in der Nähe ist. Über ihm dreht sich langsam ein mit Leuchtfarbe bemaltes Mobile der neun Planeten des Sonnensystems, das er beim Zubettgehen in Bewegung gebracht hat. Während sich die Planeten um die eigene Achse und umeinander drehen, wiederholt Bunny Junior still für sich, was er alles über sie weiß.
    Das Innere des Saturns zum Beispiel ist so ähnlich wie das des Jupiters und besteht aus einem felsigen Kern, einer Schicht flüssig metallischem Wasserstoff und einer Schicht molekularem Wasserstoff. Es gibt Spuren verschiedener Eisarten – solche Sachen weiß er aus der Enzyklopädie, die er mit sieben von seiner Mutter geschenkt bekommen hat. Er wünscht sich, sein Vater würde kommen und sich zu ihm setzen, während er versucht einzuschlafen. Es dauert bestimmt zweitausend Lichtjahre, bis er schlafen kann, denkt er, und schläft ein.
     
    Im Wohnzimmer starrt Bunny ohne Interesse, ohne eine Meinung oder überhaupt irgendeine sichtbare kognitive Reaktion auf den Fernseher. Von Zeit zu Zeit kippt sein Kopf nach hinten, und er leert ein Bier. Dann macht er sich ein neues auf. Seine Augen werden glasig. Mechanisch zieht er an seiner Zigarette. Dann tut er alles noch einmal, wie ein Roboter. Aber als sich der blaue Abend im Fensterrahmen zu schwarzer Nacht verdunkelt, bekommt er dann doch einen traurigen Zug um die Augen, Falten graben sich in seine Stirn und seine Hand beginnt zu zittern.
    Plötzlich springt er unvermittelt auf, als hätte er sich den ganzen Abend auf diesen Moment vorbereitet, geht zur Anrichte (die Libby bei einem Garagenflohmarkt in Lewes erstanden hat) und öffnet die matte Glastür. Bunny nimmt eine Flasche Malt-Whisky und ein kurzes, schweres Glas heraus und geht zurück zum Sofa.
    Er schenkt sich ein und leert das Glas in einem Zug. Dann würgt er, wirft den Oberkörper vor, schüttelt sich und beginnt das Spiel mit Flasche und Glas von vorn. Dann hackt er mit dem Zeigefinger eine Nummer in sein Handy. Die Verbindung baut sich auf, aber noch vor dem Surren des Rufzeichens hört Bunny ein endloses, grässliches Husten, tief und feucht, und er muss das Telefon auf Armlänge vom Ohr weghalten.
    »Dad?«, sagt Bunny nach einer Weile merklich beunruhigt, mit einer unabsichtlichen heftigen Betonung des Anfangsbuchstabens – noch kein richtiges Stottern, aber die ersten Ansätze davon, als hätte man ihm das Wort aus dem Mund

Weitere Kostenlose Bücher