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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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und meint die Luftschlangen. »Tut mir leid.«
    Bunny drückt das Auge ans Schlüsselloch.
    »Ha!«, ruft er und wird wieder lebendig.
    Durch das Schlüsselloch sieht er seine Frau Libby am Fenster stehen. Unglaublich, sie trägt das orangefarbene Nachthemd aus ihrer gemeinsamen Hochzeitsnacht, Bunny hat es seit Jahren nicht mehr gesehen. Blitzartig sieht er das Bild von damals vor sich, in Traumzeit: Seine frischgebackene Ehefrau kommt in ihrem Flitterwochenhotel auf ihn zu, der nahezu unsichtbare Stoff des Nachthemds hängt gefährlich an ihren geschwollenen Nippeln, und darunter schimmert phosphoreszierende Haut und der goldene Klecks ihrer Scham, die verschleiert vor seinen Augen tanzt.
    Inmitten der Coco Pops kniend und das Auge ans Schlüsselloch gepresst, wird Bunny von einer unerwarteten Welle der Euphorie überrollt; die Chancen für einen Nachmittagsfick stehen doch nicht so schlecht.
    »Komm schon, Baby, ich bin’s, dein Bunnyman«, sagt er, aber Libby antwortet immer noch nicht.
    Bunny springt auf, hämmert mit den Fäusten gegen die Tür und brüllt: »Mach sofort die Scheißtür auf!«, und Bunny Junior sagt: »Ich hab einen Schlüssel, Dad«, aber Bunny schiebt den Jungen beiseite, nimmt Anlauf und wirft sich gegen die Tür. »Dad, ich hab einen Schlüssel!«, sagt der Junge, aber Bunny zischt: »Geh mir aus dem Weg!«, und wirft sich noch einmal wie ein Wahnsinniger gegen die Tür, diesmal mit voller Wucht und ächzend vor Anstrengung, aber sie gibt immer noch nicht nach.
    »Scheiße!«, schreit er verzweifelt, fällt auf die Knie und drückt das Auge an das Schlüsselloch. »Mach die verdammte Tür auf! Du machst dem Kleinen Angst!«
    »Dad!«
    »Weg da, Bunny Boy!«
    »Ich habe einen Schlüssel«, sagt der Junge und streckt ihn seinem Vater entgegen.
    »Warum sagst du das nicht gleich? Verdammt nochmal!«
    Bunny nimmt den Schlüssel, steckt ihn ins Schlüsselloch und öffnet die Schlafzimmertür.
    Bunny Junior folgt seinem Vater ins Zimmer. Er sieht, dass im Fernseher die Teletubbies laufen, aber der Fernseher, ein kleiner tragbarer, steht drüben beim Fenster auf dem Boden. Der Rote mit der runden Antenne auf dem Kopf, Po heißt er, sagt irgendwas mit einer Stimme, die der Junge nicht mehr verstehen kann. Ohne den Blick von der Mattscheibe abzuwenden, spürt er, dass sein Vater erstarrt ist, und im Augenwinkel sieht er einen reglosen orangefarbenen Fleck. Er hört seinen Vater »Scheiße« sagen, aber in ruhigem, fast ehrfürchtigem Ton, und beschließt, nicht hochzusehen. Stattdessen blickt er auf den Teppich, immer nur starr auf den Teppich, und bemerkt, dass ein Coco Pop zwischen den Zehen seines linken Fußes steckt.
    Bunny flucht noch einmal leise und legt die Hand vor den Mund. Libby Munro hängt in ihrem orangefarbenen Nachthemd am Fenstergitter. Ihre Füße stehen auf dem Boden, die Knie sind angewinkelt. Sie hat sich in der Hocke durch ihr eigenes Gewicht erdrosselt. Ihr Gesicht ist lila wie eine Aubergine oder so, und für einen Moment, in dem er die Augen zukneift und den Gedanken verdrängen will, geht Bunny durch den Kopf, dass ihre Brüste geil aussehen.

5
    Bunny steht auf dem Balkon vor seiner Wohnung und beugt sich über das Geländer. Er trinkt aus einer Dose Lager und sieht zu, wie zwei Sanitäter eine Rolltrage über den Parkplatz schieben und seine Frau in einen Krankenwagen laden. Sie haben es nicht eilig, und auf Bunny wirken sie irgendwie schauerlich gleichgültig und routiniert. Ein leichter Sommerwind geht durch die Wohnsiedlung, sammelt sich wirbelnd in den Ecken und weht das Laken ein wenig hoch, das über der Trage liegt. Bunny glaubt, ein Stück vom Fuß seiner Frau zu sehen, ist sich aber nicht sicher. Er zieht an der Zigarette und trinkt einen Schluck Bier.
    Während er sich über das Geländer beugt und spürt, wie sich das Blut pulsierend in seinem Gesicht sammelt, denkt er in einem schwerkraftbedingten Schwindelanfall an jene Szene zurück, als er mit Libby auf einem Hotelbett in Eastbourne lag. Bunny erinnert sich, wie sie aufstand und ins Badezimmer ging, und irgendwo zwischen dem Rückzug ihrer hohen, rosigen Pobacken und dem Anmarsch des goldenen, frisch geduschten Buschs hatte er eine leichtsinnige und schwindelerregende Entscheidung getroffen, und er fragte sie: »Libby Pennington, willst du meine Frau werden?« Bei diesen Worten wirbelte das Zimmer wild herum, und er klammerte sich links und rechts an den Bettkanten fest, als könnte er jeden Moment von

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