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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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hört seine Frau sagen: »Bunny? Bist du noch dran?«
    »Libby. Wo bist du?«
    »Im Bett.«
    Bunny sieht auf die Uhr, bewegt den Arm vor und zurück wie ein Posaunist, kann aber nichts erkennen.
    »Um Himmels willen, Baby. Wo ist Bunny Junior?«
    »In seinem Zimmer, glaub ich.«
    »Pass auf, Libby, wenn mein Vater wieder anruft …«
    »Er hat einen Dreizack«, sagt seine Frau.
    »Was?«
    »Eine Mistgabel.«
    »Was? Wer?«
    »Na, dieser Kerl, oben im Norden.«
    Bunny begreift, dass das gellende Tschilpen von draußen kommt. Es übertönt die surrende Klimaanlage und klingt so apokalyptisch, dass es ihn fast neugierig macht. Aber nur fast.
    Der Wasserfleck an der Decke breitet sich aus und verändert seine Form – eine größere Brust, eine Pobacke, ein sexy Frauenknie –, dann bildet sich ein Tröpfchen, wird länger, zittert, löst sich von der Decke, fällt und zerspringt auf Bunnys Brust. Bunny klopft darauf wie in einem Traum und sagt: »Libby, Baby, wo wohnen wir?«
    »In Brighton.«
    »Und wo liegt Brighton?«, fragt er, fährt dabei mit dem Finger die Reihe der Schnapsfläschchen entlang, die er auf dem Nachttisch aufgebaut hat, und entscheidet sich für einen Smirnoff.
    »Im Süden.«
    »Genau. Und weiter weg von ›oben im Norden‹ kann man gar nicht sein, sonst fällt man ins Meer. Und jetzt mach die Glotze aus, nimm dein Tegretol und eine Schlaftablette – nein, Scheiße, nimm zwei Schlaftabletten –, und morgen komm ich zurück, Süße. Gleich morgen früh.«
    »Der Pier brennt«, sagt Libby.
    »Was?«
    »Der West Pier, er steht in Flammen. Ich rieche den Rauch bis hierher.«
    »Der West Pier?«
    Bunny leert das Wodka-Fläschchen, zündet sich noch eine Zigarette an und steht vom Bett auf. Das Zimmer hebt und senkt sich, und Bunny merkt schlagartig, dass er hackedicht ist. Er streckt die Arme zur Seite und macht auf Zehenspitzen eine Art Mondspaziergang zum Fenster. Er taumelt, stolpert und klammert sich an den verschossenen Chintz-Gardinen fest wie Tarzan an der Liane, bis er das Gleichgewicht wiederfindet. Dann reißt er die Vorhänge auf, und vulkanisiertes Tageslicht und Vogelgeschrei bringen das Zimmer in Aufruhr. Bunnys Pupillen ziehen sich schmerzhaft zusammen, und er sieht mit verzerrtem Gesicht zum Fenster hinaus ins Licht. Eine dunkle Wolke von Staren hängt wild tschilpend über der flammenden, rauchenden Ruine des West Piers, die gegenüber vom Hotel hilflos im Meer steht. Er fragt sich, warum er das nicht schon früher gesehen hat, und überlegt, wie lange er schon in diesem Zimmer ist, und dann fällt ihm seine Frau wieder ein. »Bunny, bist du noch dran?«, fragt sie.
    »Ja«, sagt er, wie gelähmt vom Anblick des brennenden Piers und Tausender schreiender Vögel.
    »Die Stare drehen völlig durch. Es ist so schrecklich. Ihre Küken verbrennen in den Nestern. Ich ertrag das nicht, Bun«, sagt Libby, und die hohe Violine schwillt an.
    Bunny geht zurück zum Bett und hört seine Frau am anderen Ende der Leitung weinen. Zehn Jahre, geht es ihm durch den Kopf, zehn Jahre, und diese Tränen machen ihn immer noch weich – diese türkisblauen Augen, die freudige Muschi, oh Mann, und diese unergründliche Rührseligkeit –, und er lehnt sich zurück an das Kopfende, schlägt sich wie ein Affe auf die Genitalien und sagt: »Morgen komm ich zurück, Baby, gleich morgen früh.«
    »Liebst du mich, Bun?«, fragt Libby.
    »Weißt du doch.«
    »Schwörst du es bei deinem Leben?«
    »Bei Jesus und allen Heiligen. Bis zu deinen schnuckeligen Zehenspitzen, Baby.«
    »Kannst du nicht heute Abend schon kommen?«
    »Würd’ ich ja«, antwortet Bunny, der auf dem Bett herumkrabbelt und seine Zigaretten sucht, »aber ich bin meilenweit weg.«
    »Oh, Bunny … du Scheißlügner …«
    Dann ist die Leitung tot, und Bunny sagt: »Libby? Lib?«
    Verständnislos sieht er das Telefon an, als würde er gerade erst merken, dass er es in der Hand hält, dann klappt er es zu wie eine Muschel und auf seiner Brust zerspringt ein weiterer Wassertropfen. Bunny formt mit den Lippen ein kleines ›0‹ und steckt eine Zigarette hinein. Er zückt das Zippo, zündet sie an und inhaliert tief, dann bläst er wohlüberlegt einen grauen Rauchschwall aus.
    »Hast ja ganz schön zu tun, Darling.«
    Unter großer Anstrengung dreht Bunny den Kopf und sieht die Prostituierte an, die in der Badezimmertür steht.
    Das fluoreszierende Pink ihres Slips pulsiert auf ihrer schokobraunen Haut. Sie kratzt sich ihre Cornrows, und hinter

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