Der Tod des Bunny Munro
zaghaftes Winken erwidert und merkt, wie sich in seinem Schritt die Manneskraft sammelt, glaubt er, die Antwort vielleicht schon irgendwie zu kennen. Auf einer ganz anderen Ebene wiederum glaubt er, die Antwort irgendwie doch überhaupt nicht zu kennen. Er sollte sich über diese Frage ernsthafte Gedanken machen, sagt er sich, aber immerhin kann er nicht gefickt werden, und das erleichtert ihn. Er spürt, wie ihn ein großer Teil seiner Lebenskraft und seiner Energie verlässt, aber sein Schwanz ist paradoxerweise hart, und Bunny dreht sich um und geht traurig zurück in die Wohnung.
Bunny Junior sitzt völlig geistesabwesend auf dem Sofa vor dem Fernseher, zwischen den Knien eine Riesenflasche Coca-Cola. Er leidet unter einer Krankheit namens Blepharitis oder Lidrandentzündung oder so, und seine Steroid-Augentropfen sind alle. Seine Augen sind rot gerändert, wund und geschwollen, und er denkt sich, dass er das seinem Vater irgendwann sagen sollte, damit der ihm neue Tropfen kauft. Er ist froh, dass die ganzen Leute weg sind. Die Polizei. Die Sanitäter. Er hatte es satt, wie sie ihn ansahen und im Flur tuschelten, als wäre er taub oder so was. Ihretwegen musste er die ganze Zeit an seine Mum denken, und jedes Mal, wenn er an seine Mum dachte, hatte er das Gefühl, durch die Mitte der Welt zu stürzen. Andauernd fragten sie ihn, ob alles in Ordnung sei, dabei wollte er doch einfach nur fernsehen. Kann man hier nicht einfach mal seine Ruhe haben?
Er sieht seinen Dad ins Wohnzimmer kommen, und in dem Moment fällt ihm ein, dass er ihm ein Bier aus dem Kühlschrank holen wollte. Wie konnte er das vergessen? Das Gesicht seines Vaters sieht aus wie aus grauem Filz. Er geht anders als sonst, als wüsste er nicht, wessen Wohnzimmer er gerade betritt, als wäre er etwas benommen.
»Was ist mit meinem Bier?«, fragt Bunny in Zeitlupe und setzt sich neben Bunny Junior aufs Sofa.
»Hab ich vergessen, Dad«, antwortet Bunny Junior. »Der Fernseher war an.«
Der Ärmel eines hingeworfenen Pullovers hängt schlaff über der Mattscheibe, wo gerade eine Nachrichtensendung läuft, und verdeckt teilweise das Bild einer Giraffe, die in ihrem Gehege im Londoner Zoo reglos auf der Seite liegt. Sie ist von Pflegern und Tierärzten in Gummistiefeln umringt, und Arabesken aus Rauch steigen von ihrem Körper auf.
»Wozu guckst du das?«, fragt Bunny und meint die Nachrichten; er weiß nicht, was er sonst sagen soll.
Der Junge blinzelt schnell, um seine Augen abzukühlen, wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn und sagt: »Die Giraffe ist vom Blitz getroffen worden, Dad, im Zoo. In Afrika im Busch passiert das ziemlich oft. Da erwischt es andauernd eine. Sie sind so eine Art Blitzableiter. Gerade spazieren sie noch durch die Gegend, und dann, zack, schon sind sie Matsch.«
Bunny hört seinen Sohn, aber seine Stimme scheint von sehr weit weg zu kommen, und ein hohles Grummeln aus der Magengegend erinnert ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hat. Er nimmt einen der Pizzakartons vom Couchtisch, öffnet ihn und schwenkt ihn unter der Nase.
»Wie lange liegen die schon da?«, fragt Bunny.
»Weiß ich nicht, Dad«, antwortet der Kleine. »Vielleicht so eine Million Jahre?«
Bunny schnuppert daran.
»Riecht ganz okay«, sagt er, klappt ein Stück Pizza zusammen und steckt es in den Mund.
»Schmeckt auch ganz okay«, sagt er, man versteht es bloß nicht.
Bunny Junior nimmt sich auch ein Stück.
»Prima, Dad«, sagt er, und für einen Augenblick schweißen die zerfaserten Töne des Fernsehers den Jungen und seinen Vater zusammen, und sie sitzen schweigend nebeneinander auf dem Sofa. Nach einer Weile deutet Bunny auf den Stapel Pizzakartons vor ihnen auf dem Couchtisch, zwischen den Fingern eine brennende Zigarette. Er hat den Mund voll Pizza und macht ein fragendes Gesicht, er will etwas sagen und zeigt, mit vollen Backen kauend, weiter auf die Kartons.
»Ich glaub, die hat uns Mum dagelassen, Dad«, sagt Bunny Junior und spürt, wie ihn der glühende Kern der Erde in die Tiefe zu ziehen droht, und er paddelt über dem Sofarand so heftig mit den Füßen, dass seine Pantoffeln wegfliegen. Bunny sieht seinen Sohn an, und als Antwort nickt er, schluckt und starrt wieder gedankenverloren auf die Mattscheibe.
»Ich geh jetzt besser schlafen. Dad«, sagt Bunny Junior später am Abend zu seinem Vater.
»Ach so, ja«, murmelt Bunny wie ein Zombie, und eine Weile darauf: »Na, dann.«
Der Junge steigt
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