Der Tod des Bunny Munro
gerissen wie einen stinkenden Zahn.
»Dad?«, sagt er nochmal, klemmt das Telefon unters Kinn und zündet sich noch eine Kippe an.
Das Husten verstummt, und Bunny hört, wie mit einem grässlichen Pfeifen Luft durch ein zu großes Gebiss gesogen wird, und es klingt wie ein Nest gereizter Schlangen. Dann die grimmige, gallige Frage: »Was?«
»Dad? Ich bin’s«, sagt Bunny, greift nach der Flasche und lässt noch einen Whisky in sein Glas schwappen; seine Hand zuckt vor Aufregung wie wild.
»Wer ist da?«, brüllt sein Vater.
»Dad, ich muss dir was sagen.«
»Wer ist denn da, verdammte Scheiße?«, fragt sein Vater, und Bunny hört ihn mit dem Gebiss klappern. Er klingt wie ein psychopatischer Massenmörder.
»Ich bin’s.« Bunnys Hand macht so heftige Sprünge, dass es aussieht, als würde er winken oder hätte einen epileptischen Anfall, oder als hätte er sich die Hände gewaschen und fände kein Handtuch zum Abtrocknen. Er stürzt den Whisky runter und verzieht das Gesicht, dann schüttelt er sich, zieht an der Zigarette und merkt, dass er jetzt am ganzen Leib zittert.
»Wer zum Teufel ist da?«, fragt der alte Mann, und aus den Tiefen seiner Lungen bricht ein weiterer Hustenanfall los.
»D-dad?«, stammelt Bunny, und er hört sich stottern und klappt das Telefon leise fluchend zu. Er versucht, sich eine neue Zigarette in den Mund zu stecken, aber sein Kopf und seine Hände zucken so heftig, dass er fast daran scheitert. Zum Anzünden hält er eine Hand mit der anderen fest, dann lässt er sich aufs Sofa zurücksinken, bläst wütend den Rauch aus und sagt: »Scheiße!«
Er stellt sich seinen Vater vor, der jetzt wohl wie ein Skelett aus dem Anatomieatlas in seinem abgewetzten Ledersessel sitzt; die tuberkulösen Lungen saugen die Haut durch die weißen, brösligen Rippen, und er hält eine Kippe in der Hand und knurrt ins Telefon. Das Bild macht ihm Angst, und Bunny kneift die Augen zu, aber der schauderhafte Schädel seines Vaters tanzt ihm immer noch vor Augen. Ich ruf ihn irgendwann anders nochmal an, denkt er.
Später, als die Whiskyflasche leer und sonst alles beim Alten ist, taumelt Bunny durch den Flur und lehnt sich an die Schlafzimmertür. Er holt tief Luft und drückt die Klinke, das Gesicht angespannt und zur Seite gedreht, wie ein Amateur bei dem Versuch, eine Bombe zu entschärfen.
Obwohl er sich alle Mühe gibt, vorsichtig ins Zimmer zu gehen, stolpert er, stürzt fast und taumelt durch den Raum bis zu dem zerwühlten Ehebett. Er setzt sich und zieht sich bis auf die Unterhose aus. Als er sich umdreht, sieht er, dass sich auf den Laken noch der zusammengerollte Körper seiner Frau abzeichnet, und er ist kurz davor, die Hand draufzulegen. Die Versuchung ist groß, aber ihm sitzt noch der Schreck von vorhin im Nacken, als er ahnungslos ins Badezimmer gegangen war und sich ihm der Anblick einiger »besonderer« Ann-Summers-Slips seiner Frau geboten hatte, die wie Spitzenfähnchen an dem ausziehbaren Wäschetrockner über der Badewanne hingen. Er hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen und begriff, dass sie als eine Art Hinweis dort hingehängt worden waren, aber als Hinweis worauf, das war ihm in diesem betrunkenen Zustand einfach nicht eingefallen. Hatte ihm seine Frau irgendwas sagen wollen? Als er die Finger über den Stoff gleiten ließ, begann der Raum dramatisch zu wanken, die Wände waren plötzlich aus Knetmasse, und Sekunden später lag er auf dem Rücken zwischen der Toilette und der Badewanne. Er blieb einen Augenblick so liegen und sah zu den pastellfarbenen Slips hoch, die über ihm flatterten und tanzten, die Zwickel klaffend wie aufgerissene Mäuler, und plötzlich überkam ihn ein fast greifbares Gefühl der Anwesenheit seiner Frau. Die Luft im Badezimmer schien sich abgekühlt zu haben, und Bunny glaubte, ein Fragezeichen aus Dampf von seinen Lippen aufsteigen zu sehen. Er rappelte sich hoch und machte, dass er da rauskam.
Jetzt, in Unterhose auf dem Bett, zieht Bunny die Nachttischschublade seiner Frau raus und kippt den Inhalt – ein halbes Dutzend brauner Arzneifläschchen und Tablettenpackungen – aufs Bett. Er fischt das zuverlässige Rohypnol heraus, diese hübschen, teilbaren lila Rauten, drückt eine und dann noch eine aus ihrer Folienkammer und schluckt sie.
In Zeitlupe lässt sich Bunny nach hinten fallen und legt sich aufs Bett. Er schließt die Augen, knetet seine Genitalien und versucht, sich die Vagina von irgendeinem Popsternchen vorzustellen, aber
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