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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Gefühl.
    »Was?«
    »Den Schlüssel, Dad, ich hätte den Schlüssel nehmen und reingehen sollen!«
    »Wann? Hä?«
    Mit wutverzerrtem Gesicht sieht Bunny Junior seinen Vater an, seine verkrusteten Augen funkeln, und er ballt die kleinen Hände neben dem Körper zu Fäusten und brüllt: »Ich hätte einfach mit dem blöden Schlüssel reingehen sollen!«
    Bunny, der überhaupt nichts rafft, greift wie ein Varietékünstler nach einem Streifen Sonnenlicht, der den Raum in zwei Teile zersäbelt, und duckt sich dann darunter hindurch.
    »Mensch, schrei doch nicht so«, sagt er und verzieht das Gesicht.
    Dann steht er auf, wankt ein paar Schritte auf neuen Beinen und spürt, wie all das Zeug durch sein Blut rauscht.
    »Scheiße, Mann, bin ich breit«, sagt er und steht in Unterhose mitten im Wohnzimmer. »Haben wir irgendwas zu essen da?«
    Bunny Junior macht den Mund auf und zu und schwingt die Arme seitwärts, was so viel bedeutet wie: »Weiß ich nicht«, und sagt mit trauriger, kummergedämpfter Stimme: »Weiß ich nicht.«
    »Na, dann schauen doch wir mal nach!«, erwidert Bunny und stratzt in die Küche, was ein bisschen aussieht, als würde er irgendeinen bizarren Fruchtbarkeitstanz aufführen. »Ich könnte eine ganze Kuh aufessen!«
    Bunny Junior, der seinen Vater liebt, sagt: »Ich auch, Dad!«, und folgt ihm in die kunterbunte Küche, wo genau wie im Wohnzimmer alles Mögliche umgestoßen, herumgeworfen und verstreut wurde.
    »Naja, also, ich könnte zwei Kühe aufessen!«
    Bunny macht die Küchenschranktür auf und taumelt mit gespieltem Entsetzen zurück.
    »Ach du Scheiße, da ist ja ein Affe drin!«, sagt er, zieht eine Schachtel Coco Pops heraus und schüttelt sie vor seinem Ohr, dann dreht er sich um und öffnet den Kühlschrank. Ihm fällt auf, dass irgendjemand mit dem bunten Magnetalphabet, das den Kühlschrank die letzten fünf Jahre als Nonsens-Buchstabensalat geschmückt hat, ›FICK DNE FOTZE‹ geschrieben hat, und während er das Siegel einer Packung Milch abzieht und daran schnuppert, fragt er sich, wer das wohl gewesen sein könnte.
    »Ich könnte das ganze Rudel aufessen, Bunny Boy«, sagt er.
    »Die Herde«, erwidert der Junge.
    »Ja, und die auch.«
    Sie sitzen einander gegenüber, beugen sich über ihre Schälchen und essen mit übertrieben zufriedenem Schmatzen Müsli.
    »Was denn für einen Schlüssel?«, fragt Bunny.
     
    Die nächsten Tage bringt Bunny damit zu, die Beerdigung zu organisieren und Erkundigungs- und Beileidsanrufe von Gott weiß wem entgegenzunehmen, alles mit einer zugedröhnten, roboterhaften Gleichgültigkeit.
    Den Anruf bei Libbys Mutter, Doris Pennington, hatte er in der schweißgebadeten Erstarrung eines Mannes erledigt, der mit einem Seil um den Hals auf einer Falltür steht. Die abgrundtiefe Verachtung der Frau für ihren Schwiegersohn reicht weit zurück, bis zu dem Tag vor fast neun Jahren, als Libby ihm das erste Mal davonlief und tränenüberströmt zurück zu ihrer Mutter fuhr – mit einem spermabefleckten Höschen (nicht ihrem) auf der Rückbank von Bunnys altem Toyota. Das brüllende Schweigen, das auf die tragische Nachricht folgte, brach wie eine riesige Flutwelle über Bunny zusammen, und mit schweren Lidern saß er da, presste den Hörer ans Ohr und lauschte noch lange, nachdem Libbys Mutter aufgelegt hatte, den Geistern und Phantomen im Telefon. Bunny war sich sicher, in den Tiefen der Leitung die fernen Rhythmen von Libbys Stimme zu hören. Er spürte, dass sie ihm irgendetwas sagen wollte, und ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken; er klappte das Telefon zusammen wie ein Paar Kastagnetten und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    In diesen Tagen war Bunny immer häufiger und länger ins Badezimmer gegangen und hatte dort so verbissen und brutal gewichst, dass es selbst für seine Verhältnisse ein bisschen viel war. Jetzt sitzt er mit einem großen Scotch auf dem Sofa, und sein Schwanz fühlt sich an und sieht aus wie etwas, das in einen schrecklichen Unfall verwickelt war – wie ein Comic-Hotdog vielleicht, nach dem missglückten Versuch, eine viel befahrene Straße zu überqueren.
    Der Kleine sitzt neben ihm, und die beiden umschließt eine Klammer einmütigen Fix-und-fertig-Seins. Bunny Junior starrt mit leeren Augen auf die Enzyklopädie, die aufgeschlagen auf seinem Schoß liegt. Sein Vater sieht fern, raucht und trinkt Whisky wie ein Roboter.
    Nach einer Weile dreht Bunny den Kopf zu seinem Sohn und sieht, wie er

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