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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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sein Gehirn liefert ihm andauernd nur die Schreckensbilder des Tages – das blau angelaufene Gesicht seiner Frau, den Fantasie-Totenkopf seines Vaters und die schreienden Schritte der Slips, die ouvert im Bad hängen. Als er die Augen wieder aufschlägt, wandert sein Blick unwillkürlich zu dem Sicherheitsgitter am Fenster, das Zimmer wird zum Derwisch, und Bunny bleibt einfach, wo er ist (ein eindrucksvoller Beweis für seine Selbstkontrolle, aber auch dafür, wie voll er ist) – auf diesem Horrortrip mit einem Zauberteppich.
    Irgendwann kann er nicht mehr, steht vom Bett auf und schlurft völlig zugedröhnt wieder ins Wohnzimmer.
    Er stolpert über die Klamottenhäufchen, die überall herumliegen. Ist das Tinte? Sind seine Sachen mit Tinte übergossen worden? Wie ein Stein plumpst er aufs Sofa, fummelt mit der Fernbedienung herum und zappt durch. Auf dem Adult Channel läuft eine Telefonsex-Livesendung, und Bunny lässt sich von einer Osteuropäerin namens Evana mit einer heißen, engen und nassen Pussy und der Einfühlsamkeit eines Holzhammers durch den elendsten Handfick seit dem Urknall säuseln.
    Dann lässt er sich wieder aufs Sofa zurückfallen, und bevor er in seinen betäubten Schlaf sinkt, drückt er in einem fast übermenschlichen Willensakt auf den ›AUS‹-Knopf der Fernbedienung und sieht gerade noch, wie der Fernseher ausgeht, und für ein paar Stunden wirkt die Wohnung der Munros friedlich – keine Phantome oder Geister, kein Kettengerassel, keine Stimmen von jenseits des Grabes – nur ein Vater und sein Sohn, die schlafen, und die Nacht ist ruhig und pietätvoll, so wie es sich schickt für einen Mann, der sehr bald tot sein wird.

6
    Bunny Junior kommt ins Wohnzimmer und blinzelt in das Licht, das zum Fenster hereinfällt. Auf seinem verschlafenen Gesicht sitzt ein zerwühlter Haarwust, sein Pyjama ist verknittert, und er hat einen Spiderman Webblaster am Unterarm. Ein widerlicher Geruch schlägt ihm entgegen, er rümpft die Nase und wedelt mit der Hand vor dem Gesicht.
    Ihm stockt der Atem, und ein elektrisierter Wind rauscht durch seinen Körper, als er seinen Vater reglos auf dem Sofa liegen sieht, grau wie ein Spülhandschuh und überall bedeckt mit kaltem Kleister. Die übergroße, metallisch glänzende Metallfernbedienung des Fernsehers liegt immer noch banal in seiner leblosen Hand, wie ein Anachronismus. Sie sieht veraltet und überholt aus und irgendwie so, als wäre sie für Bunnys Zustand verantwortlich, als hätte sie ihre einzige Pflicht nicht erfüllt, nämlich ihn am Leben zu erhalten. Eine fette schwarze Schmeißfliege badet in dem Speichelfilm auf Bunnys Wange.
    »Dad?«, sagt der Junge leise, dann noch einmal lauter, »Dad!«
    Dann hüpft er in seinen Hotelpantoffeln von einem Fuß auf den anderen, aber Bunny reagiert nicht, und falls er atmet, dann zu flach, als dass sich sein Körper dadurch sichtbar bewegen würde.
    Bunny Junior springt jetzt herum wie ein Gummiball und schreit so laut »Dad!«, dass sein Vater mit einem Ruck hochfährt und sich selbst schlägt.
    »Was ist?!«, fragt er.
    »Du hast dich nicht bewegt!«, antwortet Bunny Junior.
    »Was?«
    »Du hast dich einfach nicht bewegt!«
    »Hä? Nein, ich war eingeschlafen«, erwidert Bunny und versucht, seinen Sohn zu erkennen.
    Bunny Junior dreht sich um, zeigt mit dem Finger wütend in Richtung Schlafzimmer und hüpft dabei immer noch merkwürdig von einem Fuß auf den anderen.
    »Wolltest du nicht da schlafen?!«, fragt er laut und reibt sich mit dem Handrücken die Stirn. »Wolltest du nicht da drin schlafen?!«
    Bunny setzt sich auf und wischt sich den Sabber von der stoppeligen Wange.
    »Nein. Was? Nein, ich bin eingeschlafen. Wie spät ist es?«, fragt Bunny.
    Obwohl sich der Kleine seinem Vater nicht weiter nähert, kommt es Bunny so vor, als würde er blitzartig herangezoomt, was wie eine fast übernatürliche Vorwärtsbewegung wirkt. Bunny weicht unwillkürlich zurück.
    »Ich hätte den Schlüssel nehmen sollen«, sagt Bunny Junior ängstlich.
    Bunny spürt, wie sich die Ereignisse des Vortags um ihn herum versammeln und ihm die Luft zum Atmen nehmen. Auf einer abstrakten Ebene schockiert ihn die Erkenntnis, dass sein Leben jetzt anders ist, tragisch und erbärmlich. Er ist bemitleidenswert. Ein Witwer. Er begreift aber auch – und das ist leichter zu verstehen –, dass er immer noch das Rohypnol und den Whisky vom Abend zuvor im Blut hat, und das gibt ihm auf ganz reale Weise ein ziemlich gutes

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