Der Tod des Chefs/Mord mit doppeltem Boden
daß er Vic zu allem kriegen
könnte, wenn er es wollte.«
Carlos hatte also Frank so wenig
getraut wie wir anderen. Und Vic — jetzt war mir klar, warum er bei dem
Kunstschwindel mitgemacht hatte. Frank hatte ihn wahrscheinlich gezwungen, die
Schecks zu unterschreiben, indem er an seine Dankbarkeit und sein Schuldgefühl
appelliert hatte. Die Frage war, ob Vic unter dem Druck solcher emotionaler
Erpressung vielleicht den Punkt erreicht hatte, wo er getötet hatte.
Ich sah bedrückt zum Fenster hinaus.
»Machen Sie nicht so ein trübes
Gesicht, Elena.« Carlos stand auf. »Es ist der fünfte Mai. Heute abend steigt
ein großes Fest.« Das Lächeln, mit dem er mich ansah, war müde und zynisch.
»Ja, ein Fest.« Ich hielt inne. Es war
keine fünf Stunden mehr bis zur Feier. Meine Geschichte von den
Unterschlagungen würde ihn vielleicht angesichts seiner Gefühle für Frank und
Vic gar nicht aus allen Wolken stürzen. Vielleicht - »Señor Bautista«, rief
Maria von draußen. »Ihr Büro ist am Telefon.«
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Carlos.
Ich wollte gehen.
»Nein«, fügte er hinzu, »ich nehme den
Anruf draußen an. Und wir sehen uns um sechs.«
Er ging und ließ mich allein in Franks
Büro zurück. Mir fiel die kopfhängerische Pflanze draußen ein, und ich ging zum
Fenster. Nachdem ich es geöffnet hatte, sah ich zum Gitter hinunter. Vielleicht
konnte ich etwas hinunterlassen, den gebogenen Haken eines Kleiderbügels zum
Beispiel. Nein, da würde der Pfahl herausrutschen. Ich würde statt dessen
jemanden eine neue Latte besorgen lassen. Seufzend schloß ich das Fenster,
schlug es ziemlich heftig zu, und da fiel der lose alte Riegel von selbst
herunter. Und im selben Moment sah ich den Sprung.
Es war nur ein kleiner Sprung,
haarfein, unten an der linken Fensterscheibe. Er war noch nicht dagewesen, als
die Mitglieder des Verwaltungsrats vor unserem Umzug ihren Inspektionsgang
gemacht hatten.
Ich strich mit dem Finger leicht über
den Sprung, dann setzte ich mich in Franks Drehsessel. Ich schwang ihn herum
und sah in den Garten hinaus, zu der hängenden Azalee. Ich schwang ihn wieder
herum und sah zur Wand hinauf, zu dem jetzt leeren Haken, wo Franks Schlüssel
gehangen hatten; die Schlüssel zur Alarmanlage und zum Vorhängeschloß am
Hoftor. Die Schlüssel, die mir jemand entwendet hatte. Die Geschichte dieser
Schlüssel mußte man kennen, wenn man Franks Mörder entlarven wollte.
Ich saß in dem Sessel und versuchte mir
vorzustellen, wie der Mord verübt worden war...
Wenn meine Bilder richtig waren,
erweiterte sich das Spektrum der möglichen Verdächtigen. Der Mörder hatte
wahrscheinlich...
»Elena?« Wieder war es Maria.
»Ja?«
»Wir müssen das Essen richten. Können
Sie jetzt — «
»Nein.« Ich stand auf.
»Sie wollten doch das guacomole machen.«
»Tut mir leid, Maria, ich kann nicht.
Fragen Sie Susana. Ihres ist auch sehr gut.«
»Aber — «
»Bitte erinnern Sie alle an die
Besprechung um vier. Ich möchte alle dabeihaben — das Personal, die
Ehrenamtlichen, Jesse und Susana. Alle, die heute abend helfen, müssen dabeisein,
damit wir in aller Einzelheit den Ablauf besprechen können.«
Maria runzelte irritiert über meine
Brüskheit die Stirn.
»Ist das klar? Alle!«
»Ja.«
»Gut. Ich bin um vier wieder da. Wir
treffen uns in Ihrem Büro. Bis dann.«
Ich hatte etwas mehr als zwei Stunden,
um Kirk zu erreichen und mich seiner Unterstützung zu versichern, wenn ich dem
Mörder eine Falle stellte.
14
Am sichersten war es, Kirk von meinem
Haus aus anzurufen, wo keiner mithören konnte. Aber Lieutenant Kirk war nicht
im Haus.
Wo er wäre, fragte ich ungeduldig.
Man riet mir, eine Nachricht zu
hinterlassen; der Lieutenant würde sich dann bei mir melden. Ich hinterließ
eine; mit dem Vermerk »dringend«.
Und dann setzte ich mich nieder, um
nachzudenken. Eine Falle war nötig, ob mit oder ohne Kirks Hilfe; eine, die den
Killer eindeutig entlarven würde. Ich schob verschiedene Ideen hin und her,
während ich ruhelos auf das Läuten des Telefons wartete. Vielleicht konnte Kirk
hierherkommen, und wir konnten gemeinsam —
Das Telefon läutete. Ich riß den Hörer
von der Gabel. Es war meine Mutter.
»Ach, gut, daß du zu Hause bist. Alles
in Ordnung?«
»Ja, Mama.«
»Warst du beim Arzt?«
»Noch nicht.«
»Elena, du bist viel zu leichtsinnig.
Versprich mir, daß du nach eurer Eröffnungsfeier zum Arzt gehst.«
»Ja, gut. Aber jetzt — «
»Was ziehst du zur
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