Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod des Maerchenprinzen

Der Tod des Maerchenprinzen

Titel: Der Tod des Maerchenprinzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svende Merian
Vom Netzwerk:
Fete nun mal so ist. Man kann sich mit jemandem unterhalten, wenn man hier jemanden kennt. Ich kenne kaum jemanden hier. Ein paar Leute ganz oberflächlich. Was soll ich plötzlich mit denen reden? Ich weiß gar nicht, worüber. Wer außer mir noch keinen Gesprächspartner abgekriegt hat, hängt mit seinem Drink in einem Sessel und versucht den Eindruck zu erwecken, er würde sich nicht langweilen. Kommunikation zwischen Leuten, die sich nicht kennen, entwickelt sich höchstens übers Essen. Ich fahre nach Hause.

    Immer dasselbe. Früher hab ich es nur darauf geschoben, daß ich zu feige bin, einfach mal jemanden anzuquatschen, den ich noch nicht kenne. Aber das ist gar nicht der Grund. Ich weiß wirklich nicht, worüber ich mich mit Leuten unterhalten soll, von denen ich nichts weiß. Die von mir nichts wissen. Ich habe einfach unheimlich wenig Lust, in den blauen Dunst hinein jemand auf sein freundliches Gesicht hin anzusprechen, um dann erst mal vorsichtig abzutasten, ob man was miteinander anfangen kann. Ich habe in den letzten Jahren nie mehr Leute auf Feten «kennengelernt». Wirklich interessante Gespräche entwickeln sich meistens rein zufällig. Mit den Leuten, mit denen man zusammenarbeitet. Mit denen man in seinem Alltag zu tun hat.
    Man sitzt unter lauter Leuten, die man nicht kennt, und soll plötzlich Freizeit mit denen machen. Ich bin fetenmüde. Bin froh, als ich endlich zu Hause bin. Unter Leuten, die ich kenne. Krabbel erst mal zu Jan und Uschis aufs Hochbett. Wie’s denn war, fragen
    sie.
    Und plötzlich merke ich, daß ich das Gespräch überhaupt nicht wiedergeben kann. Was hab ich eigentlich mit ihm diskutiert? — Ich erinnere mich konfus an irgendwelche Einzelpunkte. Aber wie die zusammenhingen...? Ich weiß es nicht.
    «Aber ich mußte noch mal hin. Es war nicht umsonst dieser Abend. Ich mußte mir noch einmal in der Realität zeigen, daß die Gespräche mit Arne nichts bringen. Noch nicht mal jetzt, wo ich ehrlich bin!»
    Als Uschi zu einem ganz wichtigen Punkt fragt: «Was hat er denn dazu gesagt?» antworte ich:
    «Oh! Das hab ich ganz vergessen zu erwähnen!» — Ich war mal wieder so durch ’n Tütel, daß ich ihm die wichtigsten Sachen gar nicht gesagt habe. Sachen, die mir vorher ganz klar waren. Einfach vergessen. Und ich kann jetzt im nachhinein noch nicht einmal den Gesprächsverlauf rekonstruieren. Alles leer in meinem Kopf. Wie schafft der Kerl das jedesmal? Schade, daß ich mit ihm allein war. Ein neutraler Beobachter könnte sich wahrscheinlich besser erinnern. Ich stecke wahrscheinlich einfach viel zu emotional in der Debatte drin, um den roten Faden im Auge zu behalten.

    Ein schönes, scharfes, spitzes Messer in sein weißes Fleisch stoßen. Hellrotes Blut. Sauber und schmerzlos.
    Schmerzlos? Nein, ich denke gar nicht daran, ob es ihm weh tut. Meine Phantasien reißen immer in dem Moment ab. Ich sehe nur seinen schönen weißen Oberkörper. Stoße zu. Sehe Blut. Hellrot. Schön auf der weißen Haut.
    Will ich ihn umbringen? Ich weiß es gar nicht. Ich denke gar nicht daran. Will nur zustoßen. In seine Brust. Oder in den Rücken. Auf jeden Fall zwischen die Rippen. Es wird schwierig, gut zu zielen. Nachher treff ich genau ’ne Rippe. Es muß schnell gehen. Und er muß still halten. Darf sich nicht bewegen. Am besten, wenn er schläft.

    Warum reißen meine Assoziationen immer in dem Moment ab, wo es um die Konsequenzen meines Handelns geht? Es ist nicht in meinem Kopf, ob es ihm weh tut, ob er stirbt. In meinem Kopf ist, daß ich es nie tun würde. Ich weiß noch nicht mal, warum nicht. Ich will ja gar nicht, daß er tot ist. Ob er tot ist oder lebt, das ändert ja nichts. Ich wußte ja damals auch, daß ich Carola nicht umbringen würde, obwohl ich mir überlegt habe, wo ich sie in meiner Wohnung aufbewahre, nachdem ich sie blutrünstig zerstückelt habe. Wie ich die Einzelteile mit dem Auto in den Wald fahre und so.
    Ich hätte wegen so was keinen Bock auf Knast. Da muß man schon ’n Nazi sein, um so was machen und trotzdem frei rumlaufen zu können.
    Und ich will’s ja auch gar nicht tun. Mir ist klar, daß es sich nur um Phantasien handelt, dich ich nie ausführen könnte. Wenn es Realität wäre, wäre es ja auch nicht mehr schmerzlos. Der Typ würde ja aufwachen, und es würde ihm weh tun. Dann würde ich aufhören müssen. Ich will ihm doch nicht weh tun!
    Er würde aufwachen und sagen: Ich versteh dich schon, aber ich finde deine Position nicht richtig.

Weitere Kostenlose Bücher