Der Tod des Maerchenprinzen
bewußt, daß ich Arne ja weggeschickt hatte und er deshalb nachher so weit von mir weg saß. Daß ich auch keine Anstalten gemacht habe, wieder näher bei ihm zu sitzen. Daß er vielleicht auch gedacht hat, «die will mich im Moment nicht mehr» und sich auch nicht getraut hat, sich wieder neben mich zu setzen. Und daß es dann für ihn auch aus heiterem Himmel gekommen sein muß, als ich sagte: Ich geh jetzt. Unsicherheit auf beiden Seiten.
Ich werde rasend vor innerer Unruhe, als mir die verschenkte Möglichkeit so klarwird. Wie soll ich schlafen können heute abend ? Zu Arne hingehen kann ich heute nicht, er hat BI-Sitzung, und hinterher sitzt er bestimmt mit den Leuten in der Kneipe. Und bestimmt unterhält er sich heute mit der Sylvia. Ich will den beiden nicht dazwischenpatzen. Wenn sich wirklich was abspielt mit den beiden, kann ich sowieso nichts dagegen machen. Ich bin nicht sauer auf Sylvia. Ich könnte sie trotzdem ins Vertrauen ziehen. Ich hab ihr ja gestern abend schon alles gesagt. Wenn ich wirklich in die Kneipe komme und die beiden flirten da grade rum, würde sie mich bestimmt verstehen, wenn ich ihr sage: Du, ich bin kaputt. Ich hab mir schon gedacht, daß ihr euch unterhalten wollt heute abend , aber ich hab’s nicht ausgehalten heute abend, zu Hause zu bleiben. — Und so schlimm ist es dann für die doch auch nicht. Wenn die sich wirklich ineinander verknallen, können sie das auch noch morgen abend machen. Im Grunde kann ich denen gar nichts versauen. Sylvia versteht mich bestimmt. Auch wenn sie vielleicht etwas genervt sein könnte. Sie würde sich mir gegenüber nicht unsolidarisch verhalten. Da bin ich mir sicher. Wenn ich sie bitten würde, mich diesen Abend mit Arne allein zu lassen — sie würde es bestimmt machen.
Also vom Prinzip her würde das gehen. Ich hätte den Mut dazu, in die Runde seiner BI reinzuplatzen und zu sagen: Arne, kommst du mal bitte. Ich möchte dir alleine was sagen.
Was mich hindert, ist der Gedanke, daß das nach Kontrolle aussieht. Ich hab Sylvia ja gesagt, daß ich eifersüchtig auf sie bin. Nachher denken die beiden, ich bin absichtlich gekommen, um ihnen den Abend zu versauen.
Aber das will ich ja gar nicht. Ich Trottel. Dann kann es mir doch auch egal sein, ob die das denken oder nicht. Wenn Arne heute abend keinen Termin hätte, wäre ich schon längst in Altona. Wenn Sylvia nicht wäre, säße ich schon längst in der Bahn und wäre auf dem Weg zu Arne. Ich will zu Arne fahren, um zu Arne zu fahren. Und nicht um ihm seine eventuellen Frauengeschichten zu verpatzen. Wie komme ich überhaupt auf den Gedanken, daß andere das von mir denken könnten?
Ich werde mich jetzt so verhalten, wie ich mich verhalten würde, wenn ich nicht vermuten würde, daß er mit ’ner Frau anbändelt heute abend. Einfach hinfahren wie immer. Wie immer, wenn ich hier zu Hause durchdrehe. Zwanzigmal grundlos über den Flur jage. Von meinem Zimmer zum Klo. Vom Klo zu meinem Zimmer. Von meinem Zimmer in die Küche. Von der Küche zu meinem Zimmer. Von meinem Zimmer ins Bad. Vom Bad in mein Zimmer. Von meinem Zimmer zum Klo. Weil ich schon wieder pissen muß vor lauter Aufregung. Uschi und Dave sitzen auf dem Flur und essen Abendbrot. Ein paarmal versuche ich mich dazuzusetzen. Aber ich kriege keinen Bissen runter. «What’s the matter?» fragt Dave. «I think I’ll go to Arne this night», antworte ich, und dann müssen wir beide lachen. «Ich werde ihm anbieten, die Rechnung für den Psychiater zu bezahlen, wenn er eines Tages wegen Verfolgungswahn eingeliefert wird», sage ich zu Dave. Wir müssen im Lexikon nachschlagen, daß Verfolgungswahn «persecution mania» heißt, und dann kann Dave auch darüber lachen. Ich warte noch ein bißchen, um nicht in Arnes BI-Sitzung reinplatzen zu müssen. Ich will ihn in der Kneipe antreffen.
Auf dem Weg nach Altona drehe ich immer noch fast durch vor Spannung. In welcher Situation ich ihn wohl antreffe? Ich weiß, daß ich die Situation auf jeden Fall packen werde. Aber trotzdem ist es ganz schön beschissen, daß ich mich nicht drauf einstellen kann.
Als ich beim Anti-AKW-Laden ankomme, ist da noch Licht. Die Vorhänge sind zugezogen. Aber sie sind bestimmt noch alle drin. Ich beginne auf der Straße auf und ab zu gehen. Eiseskälte. Ich hätte doch eine lange Unterhose unterziehen sollen. Eine halbe Stunde muß ich warten, bis endlich die Tür aufgeht und die ersten herauskommen. Ich bin inzwischen ganz ruhig geworden. Ruhig, weil
Weitere Kostenlose Bücher