Der Tod des Maerchenprinzen
ich weiß, irgendwann wird Arne da rauskommen. Irgendwann.
Er wird mit Leuten zusammen da rauskommen. Wahrscheinlich mit Sylvia. Und dann werde ich ihn rufen. «Arne, kommst du mal her?» Und werde ihm sagen: «Arne, du mußt mir helfen.»
Ich lehne zwei Meter von der Tür entfernt. Leute strömen raus. Einen frage ich mal: Ist Arne da noch drin? —Ja, ist er. Ich bin beruhigt. Ich kann warten.
Endlich kommt er raus. Alleine. Sieht mich sofort. Ich brauche ihn nicht mal zu rufen. Er kommt auf mich zu. Mit selbstverständlichem Gewohnheitsrecht landet meine Hand unter seiner Lederjacke. «Ich wollte zu Hause bleiben heute abend . Aber es ging nicht.» Ich halte ihn umarmt. «Du mußt mir helfen.»
Stille.
Ich sehe ihn an. Warte.
«Es fällt mir schwer. Sehr schwer», sagt er nach einer Weile. «Ich weiß nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll. Ob das so richtig ist mit Zärtlichkeiten und so.» Er weiß nicht, was ich von ihm will. Wie er mir helfen könnte. Ich sag ihm, daß ich jetzt mit ihm schnacken möchte. Daß er mir helfen kann, wenn er mit mir darüber redet, warum ich nicht von ihm loskomme. Er überlegt kurz. Meint dann, er müßte noch mal eben zum Griechen rein, weil er mit jemandem abgemacht hatte, irgendwas Politisches zu klären. Ich gehe hinterher. Arne setzt sich kurz an den Tisch. Ich kenne die Leute nicht. Bitte den Typen auf der Bank, auch mal ’n Stück zu rücken, damit ich mich setzen kann. Die Frau neben Arne fängt sehr engagiert ein Gespräch mit ihm an. Arne versucht ein paarmal zu sagen, daß er gehen will und nur gekommen ist, um dem einen Typen Bescheid zu sagen. Beim dritten Ansatz kommt er dann auch durch.
Ich habe kein schlechtes Gewissen. Vor zwei, drei Jahren, hätte ich mich bestimmt dafür entschuldigt, daß ich hier mit meinen privaten Problemen einen Genossen vom politischen Kneipengespräch weghole. Heute kann ich so was fordern. Mich könnte keiner mehr verunsichern, der mir vorwirft, jemannden von der politischen Arbeit abzuhalten. Wozu vier Jahre Frauenarbeit doch gut sind!
Arne schlägt erst den Weg zu sich nach Hause ein. Dann meint er plötzlich, er will doch lieber in ’ne Kneipe. Finde ich auch besser. In ’ner Kneipe ist man immer nicht so für die Atmosphäre verantwortlich. Seinen Vorschlag spazierenzugehen, habe ich gerade noch, ohne zynisch zu werden, ablehnen können. Schließlich stehe ich seit einer Dreiviertelstunde in dieser Eiseskälte vor dem Anti-AKW-Laden.
Wir gehen zu Irmi. Arne setzt sich auf die Bank mir gegenüber. Ich erzähle ihm, daß es immer dasselbe ist. Ich verbringe einen Abend mit ihm. Fühle mich wohl. Gehe nach Hause. Drehe durch, wenn ich merke, daß ich eigentlich mehr wollte. Und dann stehe ich am nächsten Abend wieder bei ihm vor der Tür. Und obwohl nie das passiert, weshalb ich eigentlich gekommen bin, fühle ich mich wohler, als wenn ich nicht gekommen wäre.
«Warum?» fragten
«Ich weiß selber nicht. Vielleicht einfach nur, um zu sehen, daß du noch da bist. Daß es dich gibt. Ich weiß es selber nicht.»
«Weshalb kommst du zu mir? Was suchst du bei mir?»
Ich kann ihm die Frage nicht beantworten. «Irgendwas an mir findest du gut. Was ist das?»
«Ich weiß es nicht.»
Arne stellt die gewagte These auf, daß es gar nicht um seine Person geht. Daß es irgend etwas anderes ist, das sich nur an seiner Person festmacht. Ich kann weder etwas dafür noch etwas dagegen sagen. Ich weiß nicht, was ich bei ihm suche. Ich merke nur, daß es sich hier wahrscheinlich um eine der wichtigsten Fragen handelt, die ich mir unbedingt beantworten muß. Aber ich merke auch, daß sich etwas in mir sperrt, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Daß ich abblocke.
Und trotzdem glaube ich nicht, daß das stimmt, was Arne sagt. Daß es gar nicht um seine Person geht. Es geht mir um ihn. Da bestehe ich drauf. Ich versuche noch mal zusammenzukriegen, was ich «gut» an ihm finde. Da ist... seine Zärtlichkeit. Die hat mich umgehauen. So was habe ich bei einem Mann noch nicht erlebt. Und dann waren da... so ganz viele alltägliche Kleinigkeiten, wo ich das Gefühl hatte, die Welt mit den gleichen Augen zu sehen wie er. So viele Situationen, wo man zusammen lachen konnte... aber nicht nur das. — Einfach unheimlich oft das Gefühl, in ganz alltäglichen Situationen... so ganz banale menschliche Dinge einfach genauso gesehen zu haben wie er. Das gleiche wahrgenommen zu haben. Und das gleiche darüber zu denken. Ich kann es nicht
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