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Der Tod des Maerchenprinzen

Der Tod des Maerchenprinzen

Titel: Der Tod des Maerchenprinzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svende Merian
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etwas zeitlicher Distanz die Sachen noch mal lesen können. Ich kaufe mir ein Tagebuch. Seit Jahren habe ich nicht mehr Tagebuch geschrieben. Ich stelle das Schild an meiner Wohnungstür auf: «Möchte nicht gestört werden» und setze mich hin. Mit meinem Tagebuch und meinem lila Füllfederhalter. Ich brauche Ästhetik beim Arbeiten. Runde, gleichmäßige lila Buchstaben auf weißem Papier. Als ich zwei Seiten geschrieben habe, höre ich ein Knacken hinter mir. Drehe mich am Schreibtisch um. Sehe im anderen Zimmer Arne mit erhobenen Armen abwehrend rumwedeln: «Ich geh auch gleich wieder. Ich will gar nicht stören. Will mir nur was rausholen.»
    «Schon passiert», sage ich und klappe mein Buch zu. Ich will nicht, daß er geht. Und dann sitzt er neben mir auf der Fensterbank und sieht auf meinem Schreibtisch, daß ich von Bravo Post bekommen habe. Peinlich. Aber wo sollte ich denn sonst hinschreiben, wenn ich ein Poster von Marc di Napoli haben will? Der so tolle strubbelige Haare und Sommersprossen hat und in Tom Sawyer den Huckleberry Finn gespielt hat. Und in den ich mich jedesmal wieder verknalle, wenn ich den Film wieder sehe. Hucky, der mit zerrissenen, weit offenen Hemden und barfuß durch Wiesen und Wälder streifen darf, während ich immer alles nicht durfte, weil ich ein Mädchen war.

    erst hieß es,
    an mir
    sei ein Junge
    verlorengegangen,
    ich Wildfang.

    dann hieß es,
    Hosen
    darf ich nur
    im Wald tragen,
    wo mich keiner sieht.
    vielleicht
    wollte ich deshalb
    Förster werden.

    oft hieß es,
    daß der Prinz
    das arme Mädchen
    nahm,
    weil es so keusch
    auf ihn gewartet hatte.

    immer hieß es,
    daß der Prinz
    das Mädchen
    geküßt habe.

    später hieß es,
    du kannst nicht
    Förster werden, aber
    du kannst
    einen heiraten.

    dann verliebte ich mich,
    in Robinson Crusoe,
    und in Arpad, den Zigeuner,
    und in Huckleberry Finn
    und in mich.

    barfuß
    mit zerschlissenen Ärmeln
    viel zu weit das Hemd
    zerzaust meine Haare
    liebe ich mich
    am meisten.

    so
    möchte ich
    unkeusch
    auf den verdutzten Prinzen zueilen und
    ihn küssen
    auf dem weichen Moos ihm
    seine Kleider
    vom Leib reißen
    und meiner Lüste frönen.

    noch
    bin ich mir nicht
    verlorengegangen.

    Arne fängt an, in mir rumzubohren, was meine Schwärmereien für irgendwelche Marc di Napolis und Gregory Pecks zu bedeuten haben. Er hat ja recht, aber ich empfinde diese Diskussion als total aufgesetzt. Er sitzt auf der Fensterbank und diskutiert mit mir meine verkorksten Männerphantasien und zeigt dabei keinerlei emotionale Regung. Total cool. Kein Lächeln. Bei so einem Thema, wo ich mit meinen verborgensten Intimitäten rausrücken soll. Ich fühle mich unwohl, will ihn verbal nicht an mich ranlassen, aber kann auch im Moment noch nicht fassen, daß das an seiner Coolheit liegt. Ich merke nur, daß ich so nicht über ein solches Thema diskutieren will.
    Aber ich diskutiere weiter. Weil ich froh bin, daß er überhaupt Interesse zeigt, sich mit so persönlichen Macken von mir auseinanderzusetzen und nicht nur über Strauß und Schmidt mit mir reden will. Aber ich empfinde es als aufgesetztes Interesse, nicht als emotionales ehrliches Interesse, das man einem Menschen entgegenbringt, den man gerne mag.
    Arne sitzt auf der Fensterbank und redet mit mir über Huckleberry Finn. Kein Lächeln. Kein lieber Blick. Er «setzt sich mit mir auseinander».
    Zu Hause setzt er sich sicher hin und sagt: Heute habe ich mich über ihre persönlichen Probleme mit ihr auseinandergesetzt. Und bestimmt glaubt er da selber dran.
    Er ist müde und will sich noch hinlegen. Ich bin froh, denn ich habe heute nachmittag noch eine Oxmox -Verabredung und weiß schon die ganze Zeit nicht, wie ich ihm das beibringen soll.
    «Ich bin um vier zum Klönschnack verabredet», sage ich, so beiläufig wie es geht. Wenn er jetzt nachfragen würde, würd ich ihm auch alles sagen. Und daß ich ihm treu bleibe.
    Aber er fragt nicht. Und ich kann doch nicht von mir aus, so ohne Veranlassung, anfangen, ihm zu erzählen, daß ich mich jetzt mit ’nem Typen treffe und ihm aber treu bleiben will. Der denkt doch, ich bin bescheuert. Aber andererseits. Wenn es nun doch mal «raus» kommt. Nachher denkt er doch, ich wollte ihn «betrügen»... weil ich nichts gesagt habe.
    Als ich wiederkomme, schläft Arne noch. Ich lege mich zu ihm. Er muß sowieso erst in zwanzig Minuten aufstehen. Wenn ich mich jetzt dazulege, fällt es bestimmt nicht so auf, daß ich eigentlich gar nicht schlafen

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