Der Tod des Maerchenprinzen
Irgendwie ein bißchen körperliche Nähe zu ihm zu haben.
Arne sitzt da wie ein Holzklotz. Boykottiert jede Berührung mit mir. Ich verstehe nicht, was los ist.
Wir legen uns schlafen... ganz zarte Umarmung nur... mir ist klar, daß er nicht mit mir schlafen wird... und doch... reicht diese leise Berührung mit ihm... und mein ganzer Körper öffnet sich... fließt ihm entgegen... mir wird ganz warm... ich spüre mein Herz... mein Brustkorb scheint sich zu öffnen... ihn aufzunehmen... mir wird heiß zwischen den Beinen... ich beginne zu fließen... eine Woge schwappt über mich hinweg und trägt mich in tausend Einzelteilen zu ihm hin... ich will ihn umfangen... ihn aufnehmen in mir... mich erst wiederfinden mit ihm... strukturlos... zerfließend, will ich erst wieder Konturen annehmen, wenn ich mit ihm zusammen bin... mich wiederfinden als Einheit mit ihm... meine Wärme •.. verhallt unbemerkt. Er — hat mich nur umarmt.
Montag. Einen Tag später. Halb vier.
Halb zwei wollte er kommen. Ich hab keine Lust mehr zu warten. Will kurz was besorgen. Als ich über die Straße gehe, sehe ich ihn plötzlich die Grindelallee hochkommen. Gehe auf ihn zu.
«Wo kommst du denn jetzt her?»
«Die Schule hat ’n bißchen länger gedauert. Und dann mußte ich noch nach Altona. Was abholen.»
«Ja und? Hättst du nicht mal anrufen können, daß du später kommst?»
«Ach ja.» Sein Gesicht bekommt einen etwas dümmlich-erstaunten Ausdruck. Aber ehrlich erstaunt. Es ist keine Schau, die er da abzieht. Er ist wirklich verwundert. Ganz plötzlich fällt es ihm ein, daß es ein Telefon gibt. Und daß mann anrufen kann, wenn mann sich verspätet.
Wie er da steht! Mit leicht geöffnetem Mund und großen braunen Kinderaugen. «Ach ja.» Richtig etwas zurückzuckt bei seinem «Ach ja». Kann ich ihm böse sein? — Ich mache meine Besorgungen. Er geht einkaufen. Heute abend wollen wir kochen.
Als wir abends auf dem Bett liegen, fange ich an, mit ihm zu diskutieren. Weil ich ja weiß, daß er in seiner letzten Beziehung die Frau auch dauernd versetzt hat. Weil er «Unklarheiten» hatte, ob er die Beziehung «fortführen» soll. Rede mit ihm darüber, daß es ja immer mal sein kann, daß man sich verspätet oder gar nicht kann. Aber daß mann dann anrufen muß, damit der andere seine Zeit sinnvoller verwenden kann als mit Warten.
Er findet alles richtig. Ich bin zufrieden. Denke, er hat’s geschnallt.
Etwas später. Arne liegt bei mir auf dem Bett. Erzählt mir von seiner letzten Beziehung: Es war eigentlich immer sehr schön, wenn wir uns getroffen haben. Es war eigentlich immer sehr schön. (Betonung auf «sehr».)
Wieso erzählt er mir das ausgerechnet mitten in einer Beziehungsauseinandersetzung? Will er mir damit sagen, daß ich ihn zu sehr nerve mit meinen ewigen Problemdiskussionen, dieses Schwein. Daß die andere Frau unkompliziert war? Daß es mit ihr halt einfach «schön» war, wenn man sich getroffen hat?
Entweder die Frau hat sich ’n Haufen mehr von ihm gefallen lassen als ich oder er stellt mir das nur so dar, damit ich auch was dafür tue, daß es mit mir mal nur «schön» ist. Nicht immer diese inhaltsschweren Diskussionen. Und dann auch noch Kritik! Das scheint der junge Mann nicht gut zu vertragen. Außerdem möchte ich die Frau mal fragen, ob die’s auch immer «sehr schön» fand, wenn sie sich mit ihm getroffen hat. Ich gehe auf solche Provokationen nicht mehr ein. Denke mir meinen Teil, dumme Sau: Bilde dir nicht ein, daß du auf diese Art und Weise meine Kritik an deinem Verhalten abwürgst.
«So hab ich das gar nicht gemeint», würde Arne sicher sagen. «Das hast du da nur reininterpretiert. Ich komm mit euch Intellektuellen nicht klar. Ich komm viel besser mit Arbeitern zurecht. Die nehmen alles viel einfacher.» Sprüche, die immer dann kommen, wenn ich von ihm fordere, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Ich bin verzweifelt. Unsere Diskussionen kommen immer an einem bestimmten Punkt ins Stocken. Ich möchte endlich mal rauskriegen, woran das liegt.
Ich merke, daß ich oft einige Tage später vergessen habe, wo wir aneinander vorbeigeredet haben und die Diskussion nicht wiederaufnehmen kann. Ich will mir für mich selber Klarheit verschaffen, wo die Ursache liegt, wenn ich mit Arne nicht weiterdiskutieren kann. Dazu ist es wichtig festzuhalten, wann wir was diskutiert haben. Was er gesagt hat. Ich muß mir das aufschreiben. Vielleicht schaffe ich es dann, die Linie zu erkennen. Mit
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