Der Tod des Maerchenprinzen
Nachredner widerlegt ihn mit guten Argumenten und erntet tosenden Applaus. Besonders von mir. Was hat er damals eigentlich gesagt? Ich weiß es nicht mehr.
Als es zur Resolution der Frauen-AE kommt, in der unter anderem die Entwicklung der Pille für den Mann gefordert wird, gibt es Gemurre aus den hinteren Bänken. Das finden einige junge Herren nun gar nicht gut. «Aufstehen! Wer ist dagegen? Aufstehen!» rufen vorne einige Frauen. Gelächter. Alle gucken voller Spannung nach hinten. Ob sich einer traut aufzustehen?
Und tatsächlich traut sich einer. Es ist Arne.
«Wenn da dieselbe Scheiße bei rauskommt wie bei der Pille für die Frau, dann bin ich dagegen», sagt er.
«Aber wir dürfen sie fressen!» ruft ihm eine Frau ganz richtig zu. Gemurmel. Gebrabbel. Unsicherheit. Der Satz wird aus der Resolution gestrichen.
Ich bin sauer. Wenn es die Pille für den Mann gäbe, wären das wenigstens ganz andere politische Voraussetzungen. Dann müßten sich die Männer wenigstens mal Gedanken machen, ob sie bereit wären, ihrem eigenen Körper solche unerforschten Belastungen zuzumuten. Dann könnten mann/frau gemeinsam immer noch die Entscheidung fällen, daß keine(r) von beiden den Scheiß frißt. Aber dann wäre es den Männern vielleicht mal eher im Kopf, daß Verhütung was ist, wofür sie auch was tun müssen. Dann sollen sie erst mal zu der Entscheidung stehen: Ich pumpe meinen Körper nicht mit Hormonen voll. Aber was machen wir denn nun statt dessen ?
Ich koche und habe Herzklopfen. Soll ich mich ans Mikro trauen? Und wenn Arne mir dann was entgegenholzt und ich mich persönlich angemacht fühle, weil ich mir denke: dieser Scheißkerl! Im Bett die Verhütungsfrage mir überlassen, aber auf ’nem Bunte-Liste-Kongreß große Töne spucken. Diese Unverfrorenheit.
Daß der sich auch noch traut, ohne rot zu werden aufzustehen. Mich fast schwängert, und es auf so einem Kongreß schafft, einen Satz aus der Resolution streichen zu lassen, der die Pille für den Mann fordert.
Und ich sitze wieder mal da und kriege den Mund nicht auf, weil mir seine Unverfrorenheit die Sprache verschlägt.
So am frühen Abend steht Arne auf. Ich beobachte ihn. Wo er jetzt wohl hingeht? Wir waren ja heute nach dem Kongreß verabredet. Er kommt zu mir nach vorne.
Er hätte da endlich ’ne Wohnung an der Hand... und er kann den Abstand nicht bezahlen... und müßte jetzt nach Altona... mit Leuten diskutieren, ob die ihm das Geld leihen... ob er die Wohnung nehmen soll... und nun wollte er mal fragen... wir sind ja jetzt verabredet... und morgen muß er sich entschieden haben, ob er die Wohnung nimmt... und ob er denn nun darf?
«Ja, natürlich», sage ich, «Wohnung geht doch immer vor.» Ich war ja selbst ein halbes Jahr auf Wohnungssuche. Ich weiß, wie das ist. Da braucht er doch nicht so eingeschüchtert zu fragen, ob er dafür die Verabredung mit mir abblasen darf. Ich wundere mich. Wundere mich über Arne, der sonst keine Skrupel hatte, mich einfach zu versetzen. Und der jetzt ganz zaghaft fragt, ob er denn nun dürfe? Wir umarmen uns. Arne geht.
Als er mich am nächsten Tag anruft: «Kann ich vorbeikommen?» habe ich keine Zeit.
Ungefähr eine Woche nach diesem Gespräch kommt Arne zum erstenmal wieder zu mir. Wir diskutieren ’ne Weile. Er sitzt auf der Heizung. Ich auf dem Bett. Ich frage ihn, was er denn aus der Diskussion am Freitag gelernt hat. Mal sehen, was kommt. Ich bin gespannt.
Was kommt, ist die Problematik des «Mit-sich-Rumschleppens» von Problemen, die die Beziehung angehen. Daß er zum erstenmal begriffen hat, daß er nicht Probleme mit sich selber abmachen kann, die eine zweite Person genauso betreffen. Daß er damit rausrücken muß, auch wenn er die Klarheit noch nicht hat. Daß er ja in der Zwischenzeit, wo er diese Probleme in seinem Kopf wälzt, weiter mit der betreffenden Frau zusammen lebt, und die auch was mitkriegt. Zwar nicht genau was, aber daß was los ist, spürt sie eben. So gesagt bekommen hat er das zwar schon ein paarmal, aber so richtig klargeworden sei ihm das erst in der Diskussion am Freitag, daß er eben immer nicht gesehen hat, daß da noch jemand anderes dran-bängt. Und daß er da nicht immer so rangehen kann: Ich mach meine Probleme mit mir selber ab.
Na ja. Das ist ja wenigstens etwas. Und sonst?
Nö. Mehr erst mal nicht. Das ist erst mal das, was er im Kopf behalten hat.
Ich wundere mich. Aber was soll’s. Wenn er mehr nicht im Kopf behalten hat, dann ist das eben so.
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