Der Tod des Teemeisters
beschienen, schritt ich zwischen dem Fluß und den Feldern voran.
Ich betrat den ausgedehnten Tempelbezirk durch das Westtor. Kein Mensch war zu sehen. Den prächtigen Anblick, den der Kenninji mit seinen drei von Umgängen umgebenen Haupthallen, den Mönchsquartieren im Westen und dem Hōjō, den Räumlichkeiten des Abtes, im Norden einst bot, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Immer wieder wurde er von Katastrophen heimgesucht, deren schlimmste das Feuer war, das die Soldaten von Hosokawa Harumoto im Jahre Tenmon einundzwanzig 37 legten. Dabei brannten die Halle, die im Stil der Heian-Zeit gebaut war, die Sutrenhalle, die Buddha-Halle, das Haupttor, die Pagode und die Unterkünfte nieder. Noch heute liegt vieles in Trümmern. SeinenRuf als Zentempel erhält sich der Kenninji von Higashiyama mit Müh und Not, da man die Sutrenhalle und den Hōjō aus anderen Tempeln herbeigeschafft und in letzter Zeit auch einige Pagoden restauriert hat.
Als wir an der Mauer ankamen, die die Wirtschaftsgebäude und den Hōjō umschließt, ging der Inhaber des Daitokuya zunächst allein durch das Tor und in die Küche, kehrte jedoch binnen kurzem zurück.
»Herr Uraku scheint zum Shōden-in gegangen zu sein«, erklärte er. »Man wird uns sogleich dorthin führen.«
Alsbald erschien ein junger Mönch, und wir folgten ihm durch das weitläufige Gebiet, auf dem zahlreiche Gebäude verstreut lagen. Überall standen Bäume, und die Erde war mit toten Blättern übersät. Auf einem Pfad, wenn es denn einer war, wateten wir durch das dürre Laub. Auch wenn der Tempel in letzter Zeit einigermaßen wiederhergerichtet wurde, ist doch das meiste von Unkraut überwuchert und unbewohnbar. Vieles liegt noch in Trümmern, und man kam sich fast vor wie auf einem Schlachtfeld.
Schließlich machten wir vor einem verfallenen Tempel halt.
»Das ist der Shōden-in«, erklärte unser Führer.
Ich begriff, daß hier Herrn Urakus Klause entstehen sollte. Vom Weg aus stiegen wir eine kleine Erhöhung hinauf und gingen um die baufällige Haupthalle herum. Vor uns tat sich ein von Unkraut überwucherter Platz auf, an dessen Nordseite drei Männer standen.
»Dort ist er.« Der Inhaber des Daitokuya marschierte sogleich auf die Gruppe zu, und ich folgte ihm in geringem Abstand. Nachdem er, bei den drei Männern angekommen, einige Worte mit ihnen gewechselt hatte, wandteer sich zu mir um und winkte mich heran. Ich trat vor Herrn Uraku, den ich sofort erkannt hatte.
»Mein Name ist Honkakubō «, stellte ich mich mit einer Verbeugung vor.
»Danke, daß Ihr gekommen seid«, sagte er knapp. Er besaß die schneidige Haltung eines Samurai, die man weder bei Teemenschen noch bei Mönchen findet. Er war groß und kräftig, hatte breite Schultern und kühne Züge.
Um nicht zu stören, zog ich mich von der Gruppe zurück, die aus Herrn Uraku, dem Inhaber des Daitokuya, einem etwas betagteren Mönch und einem Mann aus Kyōto bestand.
Eine Zeitlang schritten diese vier hierhin und dorthin, blieben stehen, steckten die Köpfe zusammen, gingen weiter. Anscheinend besprachen sie die Errichtung des Schreibzimmers, des Teepavillons und der Wirtschaftsgebäude auf dem zugewucherten Grundstück. Soll hier eine Eremitage entstehen, muß man sicher die Haupthalle einbeziehen. Das ganze Gelände erschien mir überaus desolat, was sicher an seinem verwahrlosten Zustand lag. Überdies ist die Anlage für eine Einsiedelei eigentlich viel zu groß. Der Brunnen, in den ich einen Blick warf, war nicht alt, sondern wohl erst kürzlich für das gegenwärtige Vorhaben ausgehoben worden.
Der Inhaber des Daitokuya kam auf mich zu.
»Wärt Ihr so freundlich, Herrn Uraku zum Hōjō zu geleiten, um dort etwas mit ihm zu plaudern? Ich habe noch ein Gespräch mit der Tempelverwaltung in einem anderen Gebäude und werde anschließend zu Euch stoßen«, sagte er. Ich hatte keine Wahl, denn er entfernte sich sofort in Begleitung der beiden anderen Männer.
So blieb ich mit Herrn Uraku allein, der unverdrossen hierhin und dorthin durch das Gebüsch streifte.
»Wünscht Ihr, daß ich Euch zum Hōjō begleite?« sprach ich ihn nun an.
»Ja, bitte«, erwiderte er kurz und setzte sich sogleich in Bewegung. Ich folgte ihm in einigem Abstand. Angeblich ist er drei oder vier Jahre älter als ich, also um die siebzig, aber für sein Alter schritt er sehr forsch aus. Es war recht weit bis zum Hōjō, aber er behielt seinen schnellen Schritt die ganze Zeit bei und drehte sich nicht ein
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