Der Tod des Teemeisters
einziges Mal um. Es schien ihn nicht zu kümmern, ob ich noch da war oder nicht.
Als wir am Hōjō ankamen, verschwand er schnurstracks mit einem Mönch ins Innere, ohne sich nach mir umzuwenden oder ein Wort an mich zu richten. Es war, als wäre ich nicht vorhanden. Was blieb mir anderes übrig, als am Eingang zu warten, bis der Mönch zurückkehrte. »Bitte«, sagte dieser. »Eure Anwesenheit wird gewünscht.«
Zumindest schien er mich nicht völlig vergessen zu haben. Wir gingen in den Empfangsraum, auf dessen Veranda Herr Uraku sich zurückgezogen hatte und mit dem Rücken zur Tür saß.
»Herr Oribe hat sehr lobend von Euch gesprochen«, sagte er.
»Ihr seid zu freundlich. Außer zu Meister Rikyūs Lebzeiten habe ich Herrn Oribe nur zweimal gesehen, aber er hat mir vieles erklärt. Es ist so lange her, daß es mir heute wie ein Traum erscheint.«
»Sein Tod muß ein schwerer Schlag für Euch sein.«
Zwei junge Mönche brachten Tee und stellten vor jeden von uns eine Schale.
»Ich schätze mich glücklich, daß Ihr mir die Ehre erweist«, sagte ich und erhob meine Schale, nachdem Herr Uraku die seine ergriffen hatte.
»Was haltet Ihr von dem Platz hinter dem Shōden-in, den wir gerade besichtigt haben?«
»Es ließe sich gewiß sehr angenehm und ruhig dort leben. Nur – ist es nicht ein wenig trostlos?«
»Dafür wird es ja auch eine Einsiedelei. Die kann ruhig etwas trostlos sein. Aber Herrn Oribe hätte der Platz wohl nicht zugesagt.«
»Da mögt Ihr recht haben, gleichwohl er sich nun an einen weit trostloseren Ort begeben hat.«
»Wie wahr! Auch Ihr müßt von Gram erfüllt sein.«
»Wie recht Ihr habt. Ich kann es kaum fassen, daß Herr Oribe uns verlassen hat. Wer hätte das jemals gedacht?«
»Jüngst hat mir jemand erzählt, er habe geahnt, daß Herr Oribe keines gewöhnlichen Todes sterben würde. Es heißt, er soll absichtlich Bildrollen geschändet und zerrissen haben. Er soll Teeschalen und Teedosen beschädigt haben, statt sie zu restaurieren, weil er sie so interessanter fand. Herrn Oribes Verhalten soll skandalös gewesen sein, und man sagt, ein Mann, der die Kostbarkeiten des Landes zerstöre, habe einem unnatürlichen Tod anheimfallen müssen.«
»So etwas soll Herr Oribe getan haben? Ich ...«
»Seid unbesorgt. Alles nur Klatsch. Über uns Teemenschen wird ständig alles mögliche geredet. Doch es gibt noch einen anderen Grund, aus dem auch ich mit Herrn Oribes Tod gerechnet habe. Nur fällt es mir schwer, ihn in Worte zu fassen.«
»...«
»Herr Oribe hat den Zeitpunkt seines Todes selbst gewählt.«
»...«
»Sooft ich ihm begegnet bin, dachte ich: Dieser Mann sucht den Tod.«
»...«
»War es nicht so?«
Ich brachte kein Wort heraus. Ein Zittern überfiel mich, so daß ich die rechte Hand auf das Geländer der Veranda legte, mich nach vorne beugte und die Augen schloß.
»Aber alle Menschen werden so, wenn etwas sie beherrscht. Wie viele Jahre sind seit Meister Rikyūs Tod vergangen? Zwanzig oder fünfundzwanzig? Und endlich ergab sich für ihn die Gelegenheit. Warum sie also verstreichen lassen? Sie kam unerwartet. Und in der gleichen Gestalt wie zu Meister Rikyū .«
»...«
»Er hat sich keiner Bestrafung unterzogen, sondern er hat sich für Meister Rikyū geopfert. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen. Überdies weiß ich nicht, ob es der Wahrheit entspricht. Es ist nur eine Vermutung. Wie denkt Ihr über die Sache?«
»Ich verstehe nichts von diesen Dingen. Mich bekümmert nur, daß er ein solches Ende erleiden mußte und man ihn allenthalben einen Verräter nennt ...«
»Schwer zu sagen. Diese Frage könnte nur er selbst beantworten. Vielleicht gab es verschwörerische Umtriebe in seiner Nähe, von denen er nicht einmal wußte. Allerdings hätte er sich in diesem Fall verteidigen können, was er hingegen nicht tat.«
»Warum wohl nicht?«
»Vielleicht war es ihm lästig. Wer sich dem Weg des Tees ernsthaft verschrieben hat, der gibt sich nicht mit Banalitäten ab! Oder die Anschuldigungen lieferten ihm die ersehnte Gelegenheit, Meister Rikyū zu folgen, der ebenfalls starb, ohne um Gnade zu ersuchen. Meint Ihr nicht, daß Oribe absichtlich gehandelt hat? Um sich zu opfern?«
Ob Herrn Urakus Worte nun zutrafen oder nicht, zumindest hörte ich nicht die geringste Herabsetzung Herrn Oribes heraus.
»Es war sicher schwer für ihn«, sagte ich.
»Ich glaube nicht.«
»Aber jetzt stirbt seine Familie
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