Der Tod des Zauberers
Bedrohung durch Manueli, ein Grimm, der sich bei jedem Erpressungsversuch steigerte und schließlich zur manischen Zwangsvorstellung wurde, nur der Tod Manuelis könne Victoria und seine Ehe und sein Glück von der ständigen Bedrohung befreien. Und trotzdem blieb da ein Rest zurück, der mir nicht ins Konzept paßte. Ich kannte Stephan Textor zu lange und zu gut, um diesen Mord mit seinem Charakter in Einklang bringen zu können. Er war temperamentvoll, gewiß, aber er war kein Mann, der im Affekt rot sah und völlig die Besinnung verlor. Selbst in seinen Zornesausbrüchen steckte noch eine Portion Humor; wenn er einmal aus der Haut fuhr, dann stand der eigentliche Textor daneben und beobachtete den andern, der die Szene mit Trompetenstößen und Paukenschlägen aufführte, mit einem blinzelnden Auge: Na, mach’ ich es nicht großartig? Nun, aber das alles schloß die Tat, zu der er sich bekannt hatte, natürlich nicht aus.
»Ich begreife nur eines nicht«, sagte ich schließlich, als hätte ich meine vorangegangenen Gedanken laut ausgesprochen, »Sie standen doch zu Alexander in einem so herzlich vertrauten Verhältnis, daß ich es kaum verstehen kann, weshalb Sie ihn über die Tatsache nie aufgeklärt haben, daß Sie nicht sein natürlicher Vater sind. Eine Form, ihm die Geschichte mundgerecht zu machen, ohne ihn zu verletzen oder scheu zu machen, hätte sich sicherlich finden lassen. Aber nehmen wir einmal an, Sie hätten Alexander jenen letzten Brief von Manueli gezeigt und ihm die Entscheidung tatsächlich überlassen. Glauben Sie, daß der Wortlaut seiner Antwort sich von Ihrem Schreiben wesentlich unterschieden hätte?«
Ich sah, daß er die Lippen zusammenpreßte und die Fingernägel in die Handfläche drückte.
»Was geschehen ist, ist geschehen!« sagte er heftig. »Und es hat jetzt verdammt wenig Zweck, über das zu sprechen, was zu tun richtig gewesen wäre. Vielleicht hätte man eine andere Lösung finden können. Und sehr wahrscheinlich hätte Alexander so reagiert, wie Sie gesagt haben. Aber für mich lag dieser Fall zwanzig Jahre lang so, daß ich ihn nie aus Alexanders Sicht, sondern immer nur aus meiner eigenen betrachtet und auf diese letzte Auseinandersetzung mit Manueli gewartet habe. Nennen Sie es meinetwegen Wahnsinn, nennen Sie es, wie Sie wollen! Ich bereue nicht, was ich getan habe, und ich würde es in dieser Stunde wieder tun, wenn ich es noch nicht getan hätte!«
Die hektische Erregung, in die er sich hineinsteigerte, und sein jämmerlicher Zustand erlaubten mir nicht, ihm zu sagen, was ich bei seiner Antwort empfand und wie sehr ich es vermißte, daß er im Grund auf meine Frage überhaupt nicht eingegangen war. Vielleicht scheute er sich auch, mir einzugestehen, daß ganz andere Gründe ihn bewogen hatten, jeder besseren und vernünftigeren Lösung des Problems aus dem Weg zu gehen. Ich sah diese vier Menschen vor mir, eine kleine, aber sehr fest verbundene Lebensgemeinschaft, mit ihrem auserlesenen Geschmack, ihrer Liebe zu schönen Dingen, ihren gleichartigen Interessen, makellos und ohne Tadel nach außen und untadelig auch innerhalb der Familie — denn wer wollte Victoria wegen eines Irrtums ihres Herzens einen Makel anhängen? Ich sah sie vor mir, Stephan Textor und Vicky, ein Ehepaar von zartestem Verständnis füreinander und von einer Liebe, die sich in jeder Situation eines wechselvollen Lebens so sehr bewährt hatte, daß ich selber daran verzweifelt war, je solch eine tapfere und liebenswerte Partnerin zu finden. Und ich sah die beiden Kinder, die mit einer zärtlichen Neigung an diesen Eltern hingen, den Vater vergötterten und verehrungsvoll zu einer Mutter aufblickten, die ihnen alles verkörperte, was anbetungswürdig und vorbildlich war. Ich konnte es wohl verstehen, daß Stephan Textor gezögert hatte und sich letzten Endes nie dazu entschließen konnte, ein Bild freiwillig zu zerstören, das die Kinder für vollkommen gehalten hatten. Ich dachte an die gedankenlose Bosheit menschlichen Geschwätzes; was mußten die Kinder sich denken, wenn irgendwann ein Gespräch auf Irrungen und Wirrungen kam, wie Victoria sie durchgemacht hatte, oder wenn man über irgendein Mädchen herzog, an dem sich Victorias Schicksal wiederholte? Mochte das alles hinter Textors Überlegungen gestanden haben, die er mir nicht anvertrauen wollte — als weit verhängnisvoller empfand ich, daß er vor Haß gegen jede bessere Einsicht blind geworden war. Denn was gewann er durch Manuelis
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