Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
überrumpeln, solange es nicht notwendig war.
Eine große, schlanke junge Frau, Anfang zwanzig und von blasser Schönheit, erschien. Pascoe begrüßte sie. »Hallo, Miss Denham, richtig?«
»Nein«, sagte die Frau leicht irritiert. »Ich bin Clara Brereton. Wer sind Sie?«
Pascoe stellte sich vor und verbarg (hoffentlich) seine Überraschung. Anders als Hat Bowler, der jung genug war, um in den Genuss einer modernen englischen Schulausbildung zu kommen, die das Gehirn nicht mit Dingen wie Geschichte und Literatur verstopfte, hatte Pascoe bei dem Namen Clara und dem Ausdruck Gesellschafterin das Bild einer vertrockneten alten Jungfer vor sich gesehen, die zu ihren Stricknadeln griff, wenn sie etwas Spaß haben wollte. Wield, dachte er sich, hätte ihn doch ins rechte Bild setzen können. Aber auch das stand vermutlich in der verdammten Akte!
Er folgte Clara Brereton durch die nicht ganz so prächtige Eingangshalle in einen getäfelten Gang und anschließend in ein kleines Zimmer, in dem ein altes Sofa, ein Aktenschrank und ein Computertisch standen. Sie setzte sich auf den Schreibtischsessel, er nahm auf dem Sofa Platz, was hieß, dass er zu ihr aufblicken musste.
Ihre Blässe war zum einen ihr natürlicher Hautton – eine Art perlender Glanz –, zum anderen wohl auch Folge des erlittenen Schocks. Wie auch immer, es stand ihr jedenfalls. Angesichts des aufgelösten Haars und der geröteten Augen, folgerte er, gehörte sie zu jenen glücklichen Menschen, denen Schmerz und Trauer gut zu Gesicht standen.
Oder zu jenen unglücklichen Menschen – je nachdem, wie man es betrachten wollte.
»Ich würde Ihnen gern einige Fragen stellen, wenn Sie sich dem gewappnet fühlen«, sagte er.
»Wenn ich beschäftigt bin, muss ich mich nicht erinnern«, sagte sie. »Ich habe alles aufgeschrieben, woran ich mich bei Tante Daphnes … Fest erinnern kann.«
Konnte es nicht über sich bringen, von
Grillfest
zu reden, dachte sich Pascoe. Bei der Erwähnung der Toten füllten sich ihre Augen erneut mit Tränen, so dass sie noch heller glänzten.
»Lady Denham war also Ihre Tante?«, fragte er. Wield hatte von Cousine zweiten Grades gesprochen. Ein Lapsus?
»Nein«, sagte Clara, »mein Großvater war ihr Cousin, dann bin ich also … na ja, Tante war auf jeden Fall einfacher.«
Sie lächelte schwach – Sonnenschein, der durch eine aufgerissene Wolke brach, ein Aprilhimmel.
Pascoe, so stellte er fest, wollte die Wolken noch mehr vertreiben.
Huch!, dachte er. Erinnere dich an die Worte des Meisters: Der Erste am Tatort ist immer der Hauptverdächtige, solange du keinen Besseren findest.
»Ich werde Ihren Bericht später natürlich lesen«, sagte er, »ich weiß, wie schwer einem so etwas fällt. Aber wenn man sich mit jemandem unterhält, fallen einem manchmal Dinge ein, die man bei der schriftlichen Aufzeichnung übersehen hat. Ich gehe davon aus, bei einem Ereignis wie diesem waren Sie den ganzen Tag über beschäftigt?«
»O ja. Es gibt viel zu tun. Was nicht heißen soll, dass ich alles selbst gemacht habe. Aber es lag an mir, dafür zu sorgen, dass alle, die Caterer und so, pünktlich da waren und wussten, was zu tun war.«
»Sie führten also die Aufsicht? Lady Denham hat Sie damit allein gelassen?«
»Mehr oder weniger. Normalerweise legt sie immer selbst mit Hand an, aber diesen Morgen schien sie ein wenig abgelenkt zu sein. Sie hatte ein Treffen mit Sidney Parker, das wohl nicht gut gelaufen ist. Sidney versteht es besser als jeder andere, sie zu beruhigen, wenn sie sich aufregt … aufgeregt hat. Aber heute hat es anscheinend nicht funktioniert.«
»Sie sprechen von Sidney Parker …« Pascoe sah auf die Notizen, die Wield ihm gegeben hatte. »Tom Parkers Bruder?«
»Ja. Er arbeitet in London, er ist eine Art Finanzberater für das Konsortium sowie für Tante Daphne – privat, meine ich.«
»Dann ging es bei diesem Treffen wahrscheinlich um finanzielle Dinge?«
»Das nehme ich an.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Etwa halb eins.«
»Und das Fest sollte um zwei beginnen, oder?«
»Ja. Die Caterer waren gerade eingetroffen. Sie haben ihre Tische aufgebaut. Alan Hollis – der Wirt des Hope and Anchor – war aufgetaucht und hat sich um die Getränke gekümmert. Teddy Denham war draußen und hat alles beaufsichtigt …«
»Ich dachte, das wäre Ihre Aufgabe gewesen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Teddy hilft gern. Er gehört zur Familie, das wissen Sie? Er und seine Schwester Esther. Teddy
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