Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
konnten.
Sie meinte, sie würde mal im Kyoto-Haus vorbeischauen – worauf Tom sagte, gehen wir doch gleich zurück zum Tee – sie lehnte ab, nein, das ginge nicht – Mary müsse doch so viel zu tun haben, so kurz nach ihrer Rückkehr – & er sagte, Mary & die Kinder würden ihm nie verzeihen, wenn sie erfahren, das er Lady D. nicht mit nach Hause gebracht habe – sie sagte, das schmeichle ihr zwar, trotzdem könne sie ihnen nicht zur Last fallen – & irgendwann inmitten dieses Schlagabtauschs wurden Tom & ich auf die Rückbank des Jeeps verfrachtet.
Als ich einstieg, bemerkte ich am Hexen-Cottage, dass auf Toms Anklopfen jemand reagiert hatte – eine untersetzte, asiatisch aussehende Frau, die uns beobachtete – unergründlich – wie eine Statistin in einem Kung-Fu-Film. Tom – der zum Einsteigen um den Wagen herumgegangen war – bemerkte sie nicht – aber Lady D. – & sie rief ihr zu – Schönen Tag, Miss Lee – ich hoffe, es geht Ihnen & Ihren Anverwandten gut – was ich für eine Art chinesische Begrüßung hielt. Einen Moment lang ließ die Frau die Maske fallen & ihr Blick schien sich wie ein Dolch (oder – angesichts ihres Berufs – wie eine Nadel) in Ihre Ladyschaft zu bohren – dann verbeugte sie sich steif & kehrte in ihr Cottage zurück.
Mich beschleicht der Eindruck, von jedem, der in Sandytown lebt, wird erwartet, das er seinen Platz kennt; das heißt: Lady D. ganz oben – alle anderen darunter!
Lady D. sagte immer noch, sie wolle nicht mit reinkommen – da stand sie schon in der Tür – & 20 Minuten später meinte sie, sie bleibe auf keinen Fall zum Tee – da wurde die erste Tasse bereits eingeschenkt. Hübsche Technik, um alles zu bekommen, ohne sich dankbar zeigen zu müssen.
Alles in allem aber war ich bei diesem ersten Zusammentreffen von ihr eher amüsiert als abgestoßen. Sie ist guter Laune – solange sie ihren Willen bekommt; zeigte Interesse an Dad & der Farm – meinte, sie habe gehört, die Heywoods aus Willingden könnten ein Stierkalb von einem Heuballen unterscheiden – behandelte die Kinder auf die gute altmodische Art – schenkte jedem 50 Pence & ignorierte sie ansonsten.
Es dauerte nicht lange, bis sie & Tom auf ihre Pläne & das Entwicklungsprojekt & die Feriengäste etc. zu sprechen kamen. Hauptereignis kommenden Sonntag – um die bisherigen Fortschritte zu feiern & sich bei allen Beteiligten zu bedanken – ist eine Party in Sandytown Hall, bei der eine Sau am Spieß gegrillt werden sollte. Es langweilte mich – & ich richtete meinen klinischen Blick auf Clara & versuchte, sie aus der Reserve zu locken.
Genauso gut hätte ich versuchen können, dem alten Fang einen Knochen zu entreißen – nur dass sie dabei nicht knurrte.
Still wie eine Nonne – beherrscht – gab nichts von sich preis – vielleicht hat sie Probleme im zwischenmenschlichen Bereich – geschieht ihr recht, wenn sie so gut aussieht! Als es Zeit zum Aufbruch wurde, bot sie wenigstens an, beim Abwasch des Teegeschirrs zu helfen – aber Lady D. war bereits auf den Beinen & duldete keine Verzögerung. Was Tantchen will, bekommt das Tantchen auch!
Ich half Mary beim Abräumen. Tom verzog sich in sein Arbeitszimmer, um am Computer zu arbeiten – & verkündete noch, Lady D. sei wie Sandytown selbst – eine frische Brise; sie erfülle alte Ideen mit neuem Leben. Eher wie eine frische Brise CO 2 – hätte ich gesagt, nachdem ich ihre kühle Reaktion auf seine weniger kommerziellen Interessen bemerkt hatte. Aber Toms Enthusiasmus gehört zu der Sparte, die offenen Widerstand noch als versteckte Unterstützung wertet.
Mary sieht das alles sehr viel klarer. Beim Abwasch sprach ich sie auf Clara an – Hat sie schon immer bei ihrer Tante gewohnt?
– O nein – antwortete Mary – nur im letzten halben Jahr oder so –
Dauerte nicht lange, bis ich die ganze Geschichte erfuhr. Klingt ein wenig wie aus einem Roman aus dem 19 . Jahrhundert – tatsächlich umgibt den gesamten Ort diese Aura – gemächlich & geruhsam an der Oberfläche, darunter aber brodeln alle möglichen interessanten Konflikte.
Daphne Brereton – Lady D. – von Geburt an wohlhabend & durch ihre erste Ehe noch wohlhabender geworden – ist natürlich Gegenstand zahlreicher Interessen – sowohl zu Lebzeiten als auch – & noch viel mehr – wenn sie tot ist! Die große philosophische Frage, die die Einwohner von Sandytown beschäftigt, ist nicht die
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