Der Tod im Eis
worauf er treffen könnte. Das hatte er jedenfalls nicht erwartet.
Es war ein - Ei.
So sah es jedenfalls auf den ersten Blick aus. Wie ein großes schwarzes Ei.
Erst auf den zweiten wurde ein nur ei-ähnliches Gebilde daraus, das mehr einer Avocado ähnelte. Etwa hüfthoch, mit einer Schale aus glänzendem, seltsam festen Schleim, der von dunklen Strängen durchzogen wurde. Und diese Stränge, in denen eindeutig etwas floß, waren es auch, die das dumpfe Pochen aussandten .
Landru kam nicht mehr dazu, sich näher mit dem widerlichen Ding zu befassen.
Hinter ihm geschah etwas, das ihn ablenkte.
Geräusche.
Schritte!
Er fuhr herum.
Und erstarrte, noch ehe er die Drehung ganz beendet hatte.
Ohne ihm je gegenüber gestanden zu haben, wußte er, wen er da vor sich hatte.
Die elfenbeinfarbenen Zähne, die unter der Oberlippe des Anderen hervorragten, verrieten die Herkunft des Geschöpfs. Sie und das fehlende Geschlecht .
Erspüren konnte Landru die Präsenz des anderen Vampirs jedoch noch immer nicht. Sie entstammten nicht verschiedenen Generationen ein- und desselben Volkes.
Landrus Ahnung verdichtete sich zu Gewißheit. Sie waren Ange-hörige zweier verschiedener Rassen.
Zweier Rassen, die einander fremd waren. Fremd - und feindlich gesonnen?
Denn das war etwas, das Landru fühlen konnte: die Feindseligkeit des anderen. Sie schlug ihm entgegen wie stinkender Brodem. Und darin verbarg sich noch etwas - das fühlbare Wissen, daß der andere nichts neben sich duldete, was nicht von seiner Art war. Alles, was anders war als er selbst, taugte nur als Nahrung. Und wenn nicht dazu, dann eben nur zum Sterben.
Tod lag in der Luft, fast wie etwas Greifbares. Landru konnte ihn sogar riechen. Den Duft des Todes, den Geruch von Verwesung.
Er wehte jenen voran, die sich nun aus dem Sichtschutz von Kisten und Stapeln lösten und an die Seite ihres Herrn traten.
Untote. Dienerkreaturen des Homunkulus.
Sie waren spürbar bereit, alles zu tun, was er ihnen befahl.
Und er gab ihnen einen Befehl.
»Tötet ihn!«
*
Eine dünne Rauchsäule stieg kerzengerade von der offenen Feuerstelle in der Mitte des Raumes auf und verschwand durch eine kleine Öffnung im gewölbten Dach der Hütte. Kleine, kaum fingerlange Flammen tanzten auf dem Holz in dem runden Loch im Boden, und sie und die wabernde Glut darunter waren die einzige Lichtquelle in der Hütte. In ihrem diffusen, flackernden Schein zeichneten sich zwei Schatten an den Wänden ab.
Obwohl es drei Gestalten waren, die um die Feuerstelle herum saßen.
Ein kleiner Junge, ein großer nackter Mann und ein weiterer, der so gebeugt dahockte, als lasteten die vielen Jahre, die sein Leben schon währte, wie ein tatsächliches Gewicht auf ihm. Das Faltenge-wirr seines Gesichts sah aus wie mit einem Messer in die ledrige Haut geschnitzt, und der Widerschein des Feuers vertiefte die Falten zu kleinen Gräben und machte aus den Frostnarben schroffe Grate.
Benji Hosteen hatte das fremde Wesen nicht, wie er es zuerst vorgehabt hatte, öffentlich durch das Dorf geführt. Auf dem Weg hierher hatte Tattu stumme Zwiesprache mit ihm gehalten, hatte vieles über den Ort, zu dem sie unterwegs waren, wissen wollen, und so war die »Rede« auch auf Maniilaq gekommen, den Ältesten des Dorfes, den Angatkuq.
Er war es, den Tattu hatte kennenlernen wollen.
Und so hatte Benji den Nackten im Schutz des Waldes um den Ort herumgeführt bis zur Hütte des Schamanen, die fast am Rande des Dorfes lag. Das dämmrige Licht hatte sie zusätzlich vor Entdeckung geschützt, und nun saßen sie hier in der Hütte des Alten.
Maniilaq hatte die Begegnung mit dem zweigeschlechtlichen Weltenschöpfer fast teilnahmslos hingenommen. Benji war darüber ein klein wenig enttäuscht gewesen, doch er tröstete sich damit, daß die Überraschung in den Zügen des Alten wohl von dessen Falten verschluckt worden war.
Seit sie am Feuer Platz genommen hatten, war kein Wort mehr gefallen. Das Knistern des brennenden Holzes war seit Minuten das einzige Geräusch in der Hütte. Nun brach Maniilaq das Schweigen.
Er wandte den Blick der schmalen Augen von den Flammen und der Glut ab und sah zu dem Wesen hin, das der Junge zu ihm geführt hatte.
»Wenn du der Weltenschöpfer bist, aus welchem Grund bist du dann zurückgekehrt, nachdem dein Werk lange schon vollbracht ist?« fragte der Schamane mit rauchiger Stimme.
Der Vampir sah weiter in die Flammen hinein, und das Glosen der Glut spiegelte sich in seinen Augen
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