Der Tod ist kein Gourmet
spezielle Traum doch Wahrheit wurde.
Aber dem scharfen Verstand Lindseys war nicht entgangen, dass es erst Dienstag war und man sich wahrscheinlich keine Sorgen machen musste.
Mary Janes schmale Brust hob und senkte sich erleichtert. »Da bin ich aber froh. In meinem Alter hätte mich so etwas doch sehr mitgenommen.«
»Ja, das wäre wirklich schrecklich«, sagte Honey und setzte ihr süßestes Lächeln auf. Tatsache war, dass MaryJane wohl die schlechteste Autofahrerin in Bath war und man froh sein musste, wenn sie nicht allzu viel Flurschaden anrichtete.
Honey schüttelte leicht verzweifelt den Kopf. An manchen Tagen kam ihr das Green River eher wie ein Irrenhaus als wie ein Hotel vor. Aber egal. Nur immer heiter weiter.
»Nur um sicher zu sein, gehst du vielleicht heute lieber zu Fuß – bis deine Nerven sich beruhigt haben«, riet Lindsey und schaute Mary Jane unter ihrem möhrenfarbenen Pony hervor bange an.
»Das ist eine sehr gute Idee. Warum ist mir das nicht eingefallen?« Die Antwort war klar. Lindsey dachte sehr rational. Honey war eher intuitiv. Aber sie war stolz auf das logische Denkvermögen ihrer Tochter. Lindsey war ihr fester Anker, wenn sie wieder einmal mit dem Kopf in den Wolken schwebte.
»Was hast du denn heute vor, Mary Jane?«, erkundigte sich Honey.
»Ich fahre aufs Land. Ich will einen beschaulichen Ort finden, wo ich begraben werden möchte, wenn ich ins andere Leben übergegangen bin. Denn ich bin ja ein ätherisches Wesen und sowohl mit meiner erdgebundenen wie auch mit meiner Luftseite in Verbindung. Ich schaue mir einen Ort an, der Friedwiese heißt. Das ist umweltfreundlich, und dafür bin ich zu haben.«
Lindsey wies sie darauf hin, dass sie einmal verkündet hatte, ihr Geist würde zusammen mit dem ihres längst verstorbenen Vorfahren, Sir Cedric, im Green River spuken.
Mary Jane bejahte das. Sie hatte wirklich angedeutet, ihr Geist könnte auf ewige Zeiten im Green River bleiben. Das war sozusagen Familientradition, und sie hatte die Absicht, damit nicht zu brechen.
»Doch«, fuhr sie fort, »mein Geist wird hier die meiste Zeit verbringen, aber ansonsten werde ich mich dort herumtreiben, wo meine irdische Hülle zur letzten Ruhe gebettet wurde.«
In Honeys Ohren klang das Ganze wie eine Art Ferienanlage für tote Seelen, ein Ort, wo die um einen Swimming Pool herumliegen und mit ihren Freunden Poker spielen würden und ewig Zeit hätten, das schwierige Kreuzworträtsel in der Sunday Times zu lösen.
»Ist es denn wirklich möglich, dass man sich, wenn man ins andere Leben übergegangen ist, nach Belieben an bestimmten Orten an- und abmeldet?«, erkundigte sie sich bei Mary Jane.
Die schaute beleidigt drein. »Natürlich ist das möglich. Das ist eigentlich völlig logisch. Du schickst doch auch Botschaften vom Handy, oder nicht? Die Botschaft geht nach draußen, das Handy hast du noch in der Tasche, stimmt’s?«
Honey spürte, wie sich ein albernes Grinsen auf ihr Gesicht stahl und drohte, ihre professionelle Einstellung zu untergraben, die sie täglich mit viel Mühe aufbaute.
Lindsey hielt hörbar die Luft an. Wenn sie nicht bald wieder ausatmete, würde sie nächstens in Ohnmacht fallen. Aber wenn sie das tat, würde sie wahrscheinlich laut loslachen.
Mutter und Tochter strengten sich an, so zu tun, als wären die Botschaften aus dem Jenseits nicht viel anders als eine ganz gewöhnliche SMS . Es war noch nie einfach gewesen, mit Mary Jane klarzukommen. Sie hatte eine »überirdische« Logik, die manchmal an Verrücktheit grenzte. Aber Mary Jane war Stammgast im Green River, und der Gast hat bekanntlich immer recht. So war nun einmal Mary Janes Logik, und die musste man eben akzeptieren.
Mit einer ausladenden Bewegung ihres langen rechten Arms warf sich Mary Jane einen weichen rosa Paschminaschal um die knochigen Schultern.
»Gut. Ich bin dann mal weg und hole deine Mutter ab. Sie hat gemeint, dass die Friedwiese genau das Richtige für mich sein könnte«, erklärte sie mit wichtiger Miene. »Gloria erwartet mich um Punkt zwölf. Tschüssi!«
Mary Jane bahnte sich einen Weg durch die ersten Zuhörer, die aus dem Konferenzraum kamen.
Lindsey schüttelte leicht verzweifelt den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, was mit der älteren Generation los ist. Was ist aus all den netten alten Mütterchen geworden, die Kuchen backen und viel zu große Pullover stricken?«
»Die sind alle tot.«
Der Gedanke daran, dass ihre Mutter, Gloria Cross, stricken oder Kuchen
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