Der Tod ist kein Gourmet
Schaschlikspießes ereilt, den man ihm in den Hals gerammt hatte. Eigentlich war das eine ziemlich gerechte Strafe, fand Smudger.
»Aber ich war’s nicht«, fügte er eilig hinzu.
Doherty hatte ja versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten, also versuchte Honey, den Fall aus ihren Gedanken zu verbannen und sich ausschließlich auf ihre Gäste zu konzentrieren. Sie strengte sich wirklich an. Heute Abend würde das Green River Hotel ihre ungeteilte Aufmerksamkeit genießen.
Mary Jane, die mit allem Paranormalen bestens vertraute Dame, hatte die Angewohnheit, schnell Freundschaften zu schließen und dann Leute zum Tee oder zum Abendessen mit ins Hotel zu schleppen. Für diese Begleiter war der Begriff Freunde vielleicht etwas übertrieben, denn sie sammelte diese Bekanntschaften auf ihren Spaziergängen durch die Stadt ein. Meistens hatte sie die Leute gerade eben erst kennengelernt und sofort mit ihnen ein langes Gespräch angefangen, das dann schließlich dazu führte, dass sie sie zum Essen einlud.
Heute waren ihre Gäste ein wenig ungebärdiger als sonst. Sie hatte ein halbes Dutzend junge Leute angeschleppt. Die lehnten ihr Angebot ab, Tee zu trinken und Crumpets zu essen, und hatten stattdessen einige Flaschen Wein bestellt – ziemlich viele Flaschen Wein, genau genommen.
Honey räumte einige Weingläser vom Tisch, um sich die Gesellschaft einmal näher anzusehen.
Die jungen Leute sahen wie Studenten aus, die jungenFrauen hatten frische Gesichter und waren gazellenschlank, die jungen Männer wirkten mit ihren breiten Schultern, als wären sie jederzeit bereit, zum Nahkampf überzugehen – auf dem Rugbyfeld oder mit den jungen Damen ...
Mary Jane schaute zu Honey auf, als wäre alles in bester Ordnung – als wäre sie von Leuten ihres eigenen, recht biblischen Alters umringt.
»Ich habe diesen Herrschaften hier gerade von Sir Cedric erzählt, dass er in meinem Kleiderschrank lebt und dass er mit mir redet und mir dies und das erklärt.«
Wahrscheinlich trank diese Gruppe schon seit dem frühen Morgen, überlegte Honey. Den jungen Leuten waren die Köpfe schwer geworden. Sie machten ruckartige kleine Kreisbewegungen mit dem Kinn und schienen das Gleichgewicht nur mit Mühe zu halten.
Einer der jungen Männer schaute mit lüsternen Augen zu Honey auf. Sein Lächeln war zahnpastaweiß, und das Gesicht wirkte frisch geschrubbt, wenn sich auch schon ein kleiner Bartschatten auf dem Kinn abzeichnete.
»Sie sind aber nett«, sagte er. Er grinste dümmlich, ehe er mit dem Kinn auf die verschränkten Arme sank.
Honey räumte sofort den Rest Wein weg, der noch auf dem Tisch stand. »Und ihr seid besoffen.«
Sie warf Mary Jane einen anklagenden Blick zu.
Die nagte auf ihrer Unterlippe herum. Es waren ihre Freunde, und sie konnte eigentlich im Hotel beinahe tun und lassen, was sie wollte, aber sie wusste auch, wann eine Grenze erreicht war.
»Tut mir leid«, flüsterte sie. »Das sind wirkliche nette Leute. Ehrlich.«
Einer der Studenten zupfte Honey am Ärmel. »Wissen Sie, dass unsere Freundin hier Tischrücken macht?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf Mary Jane. »Siedenkt, dass sie Leute im Jenseits erreichen kann. Ist das nicht unglaublich?«
»Ach, hätte ich nie gedacht.«
Honey konnte sich ihre säuerliche Antwort und ihre Essigmiene nicht verkneifen. Sie schaute noch grimmig, als sie durch das Restaurant in Richtung Küche ging. Ihre Tochter Lindsey kam ihr entgegen.
»Du weißt wahrscheinlich, dass unsere liebe Mary Jane wieder einmal ein paar Freunde angeschleppt hat. Sie sind alle betrunken. Ich glaube, ich muss Smudger bitten, sie an die frische Luft zu setzen«, sagte Honey mit wild entschlossener Miene.
Lindsey schaute kurz durch eines der runden Fenster in der Tür ins Restaurant. »Haben die schon bezahlt?«
»Ja. Und jetzt sind sie nach ihrem tollen Tag und dem Abend mit Mary Jane völlig pleite.«
»Gut«, sagte Lindsey mit dem Selbstbewusstsein der Jugend, »dann überlass das mal mir. Die werd ich schon los.«
»Ich denke ja, dass sollten wir lieber Smudger ...«
Aber Lindsey hatte sich schon energiegeladen auf den Weg ins Restaurant gemacht, mit einem Lächeln auf den Lippen und einem kecken Hüftschwung.
»Meine Tochter ist wirklich süß«, murmelte Honey und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Und wild entschlossen«, sagte Smudger, der sich zu ihr gesellt hatte.
Sie zogen die Tür einen kleinen Spalt auf, damit sie auch hören konnten, was gesagt
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