Der Tod ist kein Gourmet
nicht nur Morde aufklärte, sondern selbst am liebsten einen begangen hätte.
Nun kam Glorias spitzengesäumtes Taschentuch zum Einsatz, und es wurden damit abwechselnd Nase und Augen betupft. Die meisten Leute benutzten für solche Zwecke schon längst Papiertücher. Aber ihre Mutter hatte gewisse Ansprüche. Höchste Ansprüche. Niemals würde sie ihr zartes Näschen mit etwas in Berührung bringen, das auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit Toilettenpapier hatte.
Honey schaute deckenwärts und wünschte, sie könnte dort oben hinfliegen, sich durch den Stuck bohren und in den Himmel aufsteigen. Das würde wohl nicht passieren, also murmelte sie stattdessen: »Himmel hilf!«
Es kam aber kein rettender Engel in Sicht. Da oben war nur eine Spinnwebe zu sehen, die der Staubwedel nicht erwischt hatte. Die Lage war unverändert und musste geklärt werden.
Inzwischen vergoss ihre Mutter Tränenströme. Einerseits wollte Honey zu ihr hingehen, sie schütteln und ihr sagen, dass Krokodilstränen ihr nichts nützen würden. Andererseits wollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie so gefühllos gewesen war.
Honey war einfach zu weichherzig, und daher schien sich die zweite Möglichkeit durchzusetzen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre weinende Mutter anschaute. Es kam nicht oft vor, dass Gloria verzweifelt und klein und alt aussah – wenn Honey ihr diese Worte auch niemals ins Gesicht sagen würde, zumindest nicht die Worte »klein und alt«.
Es war einfach einer von diesen Katastrophentagen. Sie konnte nur kapitulieren, um des lieben Friedens willen.
»Na gut, dann machen wir es so, wie du willst. Ich nehme Bobo. Aber nur zeitweise, dass das klar ist.«
Ihre Mutter fasste sich sofort. »Ich bin dir ja so dankbar, mein Schätzchen«, gurrte sie, und die Tränen versiegten so schnell, wie sie gekommen waren. Sie tätschelte ihrer Tochter das Gesicht. »Dafür bekommst du einen extra guten Platz im Himmel. Ich stelle mir vor, Dora schaut jetzt gerade auf uns herab und schlägt vor Entzücken mit ihren Engelsflügeln.«
»Das müssten dann aber ziemlich große Flügel sein«, sagte Honey. »Jedenfalls größer als die Norm für gewöhnliche Engel. Es sei denn, Dora hat abgenommen, seit sie durch die Himmelspforte getreten ist.«
»Das ist wieder typisch für meine liebe, liebe Tochter«, sagte Gloria, das Gesicht ein einziges Lächeln, und packteHoney mit vor Ringen glitzernden Fingern bei der Schulter.
Sie war überglücklich. Honey eher nicht. Damit sie nicht in Versuchung kam, jemanden zu erwürgen, klemmte sie ihre Hände fest in die Achselhöhlen.
»Komm schon. Mach ein fröhliches Gesicht. Bobo ist doch ganz süß«, krähte ihre Mutter.
Honey funkelte sie böse an und wollte schon sagen: »Warum nimmst du sie dann nicht?«, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie konnte nicht glauben, dass ihr das passierte. Um nicht die Beherrschung zu verlieren, verkniff sie sich jegliches Lächeln, das ihre Niederlage beschönigt hätte. Wenn sie sich zu einem Lächeln zwang, würde ein bösartiges Grinsen daraus werden.
»Wann habe ich denn das Vergnügen, Bobo im Green River Hotel begrüßen zu dürfen?«, würgte sie hervor, und ihr Kiefer schmerzte vor Anstrengung.
Ihre Mutter lachte nervös. Verdächtig nervös.
»Na ja, sie ist eigentlich schon hier. Ich habe sie draußen gelassen, an den Türgriff angebunden. Ich dachte, es wäre nur fair, dass ich dich erst frage, ehe ich sie reinbringe.«
Von Fragen war ja wohl keine Rede. Honey warf den Kopf zurück. Es wurde ein verständnisvolles, wenn auch reichlich naives Nicken daraus.
Sie folgte ihrer Mutter aus dem Büro und fragte sich, wo die Hundedame schlafen würde und wie oft man mit ihr Gassi gehen müsste. Oberste Priorität hatte jedoch, wie sie es vermeiden könnte, dass Bobo überall im Hotel kleine Pfützen hinterließ.
Eine zweiflüglige Tür führte unmittelbar von draußen in den Empfangsbereich des Green River Hotel. Dahinter war eine Drehtür aus schokoladenbraunem Mahagoni mit schimmernden Messinggriffen. Sie war in vier Viertel unterteilt.Eine Person ging hinein, drückte, und dann drehte sich die Tür, und das nächste leere Viertel wartete auf den folgenden Gast, der eintreten wollte.
Honey traute ihren Augen kaum. Gloria hatte Bobos Leine an einen der Messinggriffe der Drehtür gebunden. Es war jemand ins Hotel gegangen, ohne zu bemerken, dass der kleine Hund da festgemacht war. Bobo war irgendwie aus dem Abteil,
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