Der Tod ist kein Gourmet
in dem Honeys Mutter sie festgebunden hatte, herausgeschlüpft und steckte nun in dem dahinter liegenden Teil.
Honey rannte zu ihr hin. »Das arme Ding. Sie hätte sich strangulieren können.«
Von der Leine zurückgehalten, drückte die kleine Hündin die feuchte Nase an die Tür, und die restliche Leine spannte sich über das Abteil davor. Bobo konnte sich weder vor noch zurück bewegen.
»Wie konnte das denn passieren?«, fragte Gloria, während Lindsey versuchte, das arme Wesen loszubinden. »Ist sie verletzt? Ich hoffe, nicht. Dora würde mir das niemals verzeihen. Egal, ich lasse euch mal machen. Ich muss mal für Mädchen und mir die Nase pudern.«
Lindsey hatte sich inzwischen den kleinen Hund unter den Arm geklemmt. »Guten Tag, meine Süße«, sagte sie und kraulte Bobo am Kinn.
Die Hündin war in höchster Aufregung, reagierte mit strahlenden Augen und hängender Zunge.
»Wie kann man denn so ein Wesen wie dich nicht mögen«, gurrte Lindsey weiter.
»Weil sie ein kleines Blasenproblem hat«, erklärte Honey mit einer Grimasse.
Lindsey setzte den Hund ab, und Bobo flitzte gleich durch die offene Doppeltür nach draußen, um sich im Rinnstein zu erleichtern. Als die Terrier-Dame mit ihrenGeschäften fertig war, tauchte auch Gloria wieder aus der Toilette auf. Alle Tränenspuren waren beseitigt, und sie hatte ihr Make-up aufgefrischt.
Honey kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sicherlich keine Anzeichen von Schmerz mehr zu sehen sein würden. Aber man konnte ja mal nachschauen ...
Keine Spur. Ihre Mutter war quietschfidel, wesentlich aufgeräumter als bei ihrer Ankunft.
»Jetzt muss ich aber wirklich gehen, meine Liebe«, sagte sie zu Honey und hielt ihr eine gepuderte Wange zum Kuss hin. »Du passt schon auf Bobo auf, nicht? Ich habe ihre Sachen hier irgendwo.«
Sie deutete vage in Richtung Empfangstresen. »Ich melde mich wieder.«
»Ich sag dir Bescheid, wie’s ihr geht, Oma – Verzeihung – Gloria«, versprach Lindsey.
»Nicht nötig. Ich weiß ja, dass sie in guten Händen ist.«
»Ich habe mir fast gedacht, dass du das sagen würdest.« Honey funkelte ihre Mutter wütend an, obwohl sie genau wusste, dass das alles an ihr ablief. Wie Wasser von einer Ente perlt. Von einer alten Ente. Von einer schlauen alten Ente.
Mit einem kleinen Winken und in marathonverdächtigem Tempo machte sich Gloria Cross auf und davon. Innerhalb von Sekunden war sie weg, in der Menge amerikanischer Touristen verschwunden, die hinter einer Stadtführerin hertrotteten, die einen rosa Schirm in die Höhe hielt.
»Mir nach, mir nach«, rief die Führerin. Die Touristen folgten brav, weil sie Angst hatten, in einer fremden Stadt verlorenzugehen, obwohl hier alles ziemlich nah beieinander war und ihr Hotel wahrscheinlich nur um die Ecke lag.
Der Empfangsbereich war für die kleine Terrier-Hündin unbekanntes Terrain, und sie reagierte entsprechend. Wie erwartet, war sie mächtig aufgeregt, ging auf die Hinterbeine und schleckte mit ihrer rosa Zunge in Richtung von Lindseys Gesicht. Leider hinterließ diese Aufregung am anderen Ende feuchte Spuren.
Honey stöhnte verzweifelt. »Sie hat schon wieder ein Leck.«
»Ach, die ist nur aufgeregt«, meinte Lindsey, hob den kleinen Hund auf, lief mit ihm nach draußen und hielt ihn über den Rinnstein, damit er seine Pfütze dort weitermachen konnte.
»Wir werden ein Heidengeld für Desinfektionsmittel und Raumspray ausgeben müssen«, sagte Honey verzweifelt. Dass sie Bobo als Hotelgast hatten, war unerwartet und ärgerlich. Sie wollte den Hund nicht hier haben. Sie brauchte auch keine Bewegung. Die bekam sie in letzter Zeit reichlich – und auf wesentlich angenehmere Art.
»Ich hab noch zu tun«, knurrte sie.
Lindsey folgte ihr ins Hotel und hielt den kleinen Hund mit beiden ausgestreckten Armen vor sich.
»Oh, was für ein süßer kleiner Hund«, sagte Mary Jane, die gerade gehen wollte und heute so bonbonrosa gekleidet war, dass sie entfernt einer Zuckerstange glich.
»Nein, das ist kein süßer kleiner Hund«, blaffte Honey.
Mary Jane schaute entsetzt, allerdings nicht lange. Dann zuckte sie die Achseln. »Es ist wohl die Jahreszeit. Oder die Zeit im Monat.«
»Einen schönen Tag, Mary Jane.«
»Dir auch, Lindsey.«
Das polierte Holz des Empfangstresens fühlte sich an Honeys Stirn angenehm kühl an. Sie schickte einen Wunsch gen Himmel. Bitte mach, dass dieser Hund verschwindet.Wenn es in diesem Hotel irgendwelche Gespenster geben sollte, bitte
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