Der Tod ist kein Gourmet
Frühstück eingedeckt. Der Nachtportier nickte ihnen zu, als sie auf dem Weg zur Tür an ihm vorbeikamen. »Kleiner Mitternachtsspaziergang?«
Honey warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Wir haben den Schlüssel dabei, in Ordnung?«
Er nickte, lächelte und zwinkerte ihr mit Verschwörermiene zu. Mitternacht im Dunklen? Nur zwei Gruppen von Leuten gingen in der stockfinsteren Nacht spazieren. Liebespaare und Menschen mit Mord im Sinn. Er hält uns offensichtlich für ersteres, überlegte Honey. Und er könnte sogar recht haben!
Die Hauptstraße verlief nicht durch Much Maryleigh. Das Dorf hatte keinen Anger, wo die hübschen Maiden und munteren Burschen tanzten. Von der A46 zweigte in zwei Meilen Entfernung eine Nebenstraße ab, die in einer Schleife durch das Dorf und dann wieder zurück auf die A46 führte.
Es war gerade kalt genug, dass ihr Atem sichtbar war. Die Lichter im Poacher waren nun ausgeschaltet, und es fiel nur noch ein heller Schein vom Empfangsbereich auf den Asphalt. Sobald sie auf der anderen Straßenseite auf der Grasböschung standen, war alles finster. Kein einziger Mondstrahl, bei dem man ein bisschen was hätte sehen können.
»Halte dich an der Mauer und bleibe unten«, zischte Doherty ihr zu.
Honey befolgte seine Anweisung.
Sie spürte die raue Kante der Mauer unter den Händen und folgte ihm, blieb immer stehen, wenn er einen Halt einlegte.
Außer dem Licht, das sie bemerkt hatten und das im Augenblick am Boden flackerte, war es stockfinster. Einmal konnten sie ein bisschen besser sehen, als zwei Autoscheinwerfer von der entfernten A46 zwischen den mächtigen Leyland-Zypressen durchdrangen, die gerade einmal zwanzig Zentimeter hoch gewesen waren, als man sie gepflanzt hatte. Jetzt hatten sie etwa eine Höhe von sechs Metern erreicht und warfen lange, schwarze Schatten.
Aus der Richtung, wo das Licht flackerte, hörte man Geräusche, die auf Graben und herabfallende Erdklumpen hindeuteten.
Wieder blitzte ein ferner Scheinwerfer auf und beleuchtete die Umrisse des verfallenen Mausoleums auf dem Friedhof jenseits der Mauer, das alte Grabmal, von dem die Kellnerin gesprochen hatte. Honey war bei ihrem letzten Besuch hier auf dem Friedhof umhergewandert. Sie erinnerte sich, dass das Vorhängeschloss an dem Mausoleum aufgesprengt war, dass die schwere Eichentür ein wenig aufstand und drinnen eine seltsame Stille geherrscht hatte, als sie hineingeschaut hatte. Sonst war dort nichts, nur diese Stille, keine Leiche, keine üblen Untaten, obwohl so ein Ort geradezu nach so etwas schrie.
Sie wollte Doherty eben in den Rücken knuffen und murmeln: He, da ist das schöne Grabmal, in dem sich Cathy Morden mit ihren Männern getroffen hat, aber sie bekam nicht die Gelegenheit dazu. Plötzlich hörte das Grabgeräusch auf. Die Nachtluft war schwer vor Schweigen. Sie jedenfalls hielt die Luft an.
»He. Ist da wer?«, rief eine Stimme.
Wer immer es war, er hatte irgendwie mitbekommen,dass sie da waren. Sie kannte die Stimme nicht. Eine männliche Person, die stark schnauft, während sie sich körperlich anstrengt. Das könnte jeder sein.
Doherty war Teil dieser Dunkelheit, und doch konnte sie spüren, wie angespannt er war. Wie sie hielt er die Luft an.
Sie blieb reglos stehen, tröstete sich damit, dass sie hinter ihm stand – der beste Platz, wenn der, der da gerufen hatte, ein Gewehr hatte oder mit Fäusten auf sie beide losging. Nur weil sie den Mann nicht sehen konnten, hieß das ja nicht, dass er sie nicht sah. Es kam aufs Licht an.
Sie machte sich so klein wie möglich, rollte sich zusammen, so gut sie konnte. Sie überlegte, dass Doherty das bestimmt auch getan hatte. Es war ihr, als hätte sie ihn wie eine massive Mauer vor sich. Ein sehr tröstlicher Gedanke. Sie kauerte hinter ihm und drückte sich fest an sein Hinterteil.
Wer immer da gerufen hatte, musste sich davon überzeugt haben, dass er völlig allein war. Wieder war das Graben und das Fallen der Erde zu hören.
Sie hob den Kopf und versuchte, über Dohertys Schulter durch die Dunkelheit zu schauen. Es war nichts auszumachen, obwohl sie das Gefühl hatte, dass es zwei Arten von Dunkelheit gab: eine für die festen, unbeweglichen Dinge und eine andere für die Dinge und Wesen, die sich bewegten.
Die Neugier ließ sie die Vorsicht ein wenig vergessen. Sie ging in die Hocke und bewegte sich langsam vorwärts. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, das Unmögliche zu erspähen. Dabei verlor sie das Gleichgewicht.
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