Der Tod ist kein Gourmet
Hinweise darauf, dass sie mit ihm abgehauen ist. Dass sie mit irgendwem fortgegangen ist. Jetzt sieht es ganz so aus, als hätte das zumindest zur Hälfte gestimmt. Cathy und Wright haben nicht zusammengelebt. Aber aus dem, was die Kellnerin gesagt hat, kann man schließen, dass er mit ihr geredet hat und dass sie sichgetroffen haben. Trotzdem, warum ist Cathy nicht nach Hause zurückgegangen?«
»Mutter und Tochter hatten sich gestritten.«
Doherty verzog das Gesicht. »Ist das Grund genug, um abzuhauen und jeden Kontakt abzubrechen?«
Mit über dem Kopf verschränkten Fingern zuckte Honey lässig die Achseln. »Passiert immer wieder mal. Ist eine Mutter-Tochter-Geschichte. Die Tochter will was machen. Die Mutter ist dagegen. Die Tochter will es umso mehr. Sie streiten sich. Die Mutter spricht ein Machtwort. Die Tochter haut beleidigt ab.«
Doherty nickte verständnisvoll. »Ich verneige mich vor deiner größeren Erfahrung. Aber ist Lindsey wirklich je beleidigt abgehauen und nicht wiedergekommen? Und wenn es nur für kurze Zeit war?«
»Nein.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Das war gelogen. Sie ist mal weggelaufen und hat geschworen, sie würde nie wiederkommen.«
»Wie lange war sie weg?«
»Weniger als einen Tag. Sie ist ziemlich bald wieder aufgetaucht, weil sie Hunger hatte und ihre Großmutter ihr angedroht hat, sie würde mit ihr in ein Geschäft gehen, das Schottenröcke verkaufte. Meine Tochter wollte aber ganz bestimmt keinen, sie hatte schon mit sieben eine sehr dezidierte Meinung zur Mode – selbst damals. Daran hat sich bis heute nichts geändert.«
»Sie war also noch kein Teenager.«
»Nein. Aber ich war auch mal einer.«
Sie bemerkte Dohertys fragenden Blick und begriff, dass sie das Doherty genauer erklären musste.
»Ich bin als Teenager selbst ein-, zweimal von zu Hause weggelaufen. Meine Mutter ging mir auf die Nerven, mischte sich dauernd in mein Leben ein, wollte die Kleider für michaussuchen. Kannst du es mir da übelnehmen, dass ich abgehauen bin?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
Honey lächelte. Doherty kannte ihre Mutter beinahe so gut, wie sie selbst sie kannte. Mit Gloria Cross zusammenzuleben, das war nicht gerade einfach. Ihre vier Ehemänner hatten das bald herausgefunden und waren ausgezogen – oder gestorben.
Honey zuckte die Achseln. »Ich fände es schrecklich, wenn Agnes ihre Tochter niemals wiedersehen würde.«
»Das kann ich verstehen.«
» C. A. Wright hat so einiges auf dem Kerbholz.«
»Wenn ich den bei lebendigem Leibe getroffen hätte, ich hätte ihn wahrscheinlich selbst umgebracht.«
»Ganz bestimmt. Aber es ist dir jemand zuvorgekommen und hat ihn ermordet. Ich nehme an, wir müssen diesen Mörder seiner gerechten Strafe zuführen, selbst wenn ich ihm, ehrlich gesagt, lieber einen Orden verleihen würde.«
»Spricht da die Mutter oder die Hotelbesitzerin?«
»Beide. Ich kann mir nicht helfen, ich bin nicht so ganz bei der Sache auf der Suche nach seinem Mörder. Mr. Wright war einfach kein liebenswerter Mann.«
»Das habe ich kapiert.«
Sie konnte sich darauf verlassen, dass Doherty verstand, wie ihr zumute war. Aber sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als sei ihr C. A. Wrights Tod völlig gleichgültig. Der Fall musste gelöst werden, auch wenn sie den Mann nicht hatte leiden können. Doch im Augenblick kamen sie einfach nicht weiter. Die Finger über dem Kopf leicht verkrampft, schaute sie auf eine Spinne, die in einer Zimmerecke ihr Netz wob. Als sie näher hinschaute, bemerkte sie, dass die Spinne gar nicht an ihrem Netz baute, sondern gerade eine fette Fliege in ein seidenes Gewebe einspann. DieFliege war einbalsamiert und völlig reglos – frisches Fleisch in der Vorratskammer für ein Festmahl in kommenden Tagen. Ein wenig wie die auf der Friedwiese begrabenen Leichname, außer dass die von innen heraus und nicht von außen verzehrt werden würden.
Honey schauderte bei dem Gedanken daran.
Doherty bemerkte das. »Was ist los?«
»Ich habe über die Pappsärge und Ken Pollock nachgedacht, und dass er gesagt hat, die wären von minderwertiger Qualität.«
»Ich finde, das ist völlig egal, da doch sowieso alles als Matsch endet.«
»Bäh!« Honey schauderte wieder. »Gegen Würmer habe ich nichts. Aber Maden kann ich nicht leiden.«
Doherty saß kerzengerade, hatte die Hände auf die Oberschenkel gestützt und schaute vor sich hin. Zumindest schien es so. Wie eine Katze, die einen Vogel gesehen hat, saß er völlig
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