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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sie besser zu sehen, aber plötzlich verschwand sie in einem rötlichen Nebel. "Vera!“ –"Ja?"
    "Sind Sie es?"
    "Ich bin es. Ja, ich bin es, dummer Kerl. Ich bin es. Vera. Leg dich hin."
    "An dem gebrochenen Bein war ich nicht schuld, Vera, das war der Schnee."
    "Ich weiß, ich weiß, du hast es oft genug gesagt. Beruhige dich!"
    Ich fühlte, wie zwei große kühle Hände meine Handgelenke faßten. "Genug davon! Sonst steigt das Fieber."
    "Es war nicht meine Schuld, Vera."
    "Ich weiß, ich weiß."
    Ich fühlte frische Lippen ganz nah an meinem Ohr. "Es war nicht deine Schuld, hörst du?"
    sagte eine Stimme. "Ja."
    Jemand legte mir die Hand auf die Stirn und ließ sie eine Weile darauf liegen. "Schlaf jetzt, Rudolf!"
    Mir war es, als ergriffe eine Hand den Bettpfosten und rüttelte daran. "Na?"
    sagte eine Stimme, und ich schlug die Augen auf. "Sind Sie es, Vera?"
    "Ja, ja. Sei jetzt still."
    "Jemand rüttelt am Bett."
    "Es ist nichts."
    "Warum rüttelt man am Bett?"
    Ein blonder Kopf neigte sich über mich, und ich roch den Duft von Toilettenseife. "Sind Sie es, Vera?"
    "Ich bin es, Baby ."
    "Bleiben Sie noch ein bißchen da, bitte,Vera!"
    Ich vernahm ein helles Lachen, dann wurde es dunkel um mich, ein eisiger Hauch wehte mich an, und ein Schwindel packte mich. "Vera! Vera! Vera!"
    Ich hörte von weitem eine Stimme: "Ja, mein Junge?"
    "Es war nicht meine Schuld."
    "Nein, nein, mein Schäfchen! Es war nicht deine Schuld. Und jetzt genug davon."
    Ganz laut drang die Stimme an mein Ohr, wie ein Befehl: "Genug davon!"
    Und ich dachte mit unsagbarer Befriedigung: ,Das ist ein Befehl.' Es wurde dunkel um mich, ich vernahm wirres Stimmengemurmel, und als ich die Augen aufschlug, war das Zimmer völlig in Dunkelheit getaucht, und jemand, den ich nicht sehen konnte, bewegte unaufhörlich das Fußende meines Bettes. Ich schrie laut: "Bewegt doch nicht mein Bett!"
    Es trat tiefe Stille ein, dann erhob sich am Kopfende meines Bettes Vater, ganz in Schwarz gekleidet, und sah mich mit seinen tiefliegenden, glänzenden Augen fest an.

    "Rudolf", sagte er in seiner abgerissenen Redeweise, "steh auf und komm -wie du bist."
    Dann fing er plötzlich an, mit einer irren Geschwindigkeit in den Raum zurückzuweichen, aber anscheinend ohne sich zu bewegen, und bald war er nur noch eine hochragende Silhouette unter anderen, seine Beine wurden lang und dürr, er war ein Hindu, er fing an, mit ihnen zu rennen; ich saß auf meinem Bett, ein Maschinengewehr zwischen den Beinen, ich schoß auf die Reihen der rennenden Hindus, das Maschinengewehr hüpfte auf der Matratze, und ich dachte: ,Es ist nicht erstaunlich, daß sich das Bett bewegt.' Ich machte die Augen auf, sah Vera vor mir stehen. Sonne durchflutete das Zimmer, und ich sagte: "Ich muß ein bißchen geschlafen haben."
    "Ein bißchen?"
    sagte Vera. Dann fügte sie hinzu: "Hast du Hunger?"
    "Ja, Vera."
    "Gut, das ist gut, das Fieber ist heruntergegangen. Du hast noch die ganze Nacht dummesZeug geredet, Baby."
    "Ist die Nacht vorbei?"
    Sie lachte. "Aber nein, sie ist noch nicht vorbei. Was denkst du denn? Die Sonne hat sich geirrt."
    Sie sah mir beim Essen zu, und als ich fertig war, räumte sie ab und beugte sich über mich, um mich zuzudecken. Ich sah ihr glattgestrichenes blondes Haar, ihren leicht geröteten Hals und atmete ihren Seifenduft ein. Als ihr Kopf nahe genug war, schlang ich meine Arme um ihren Hals. Sie versuchte nicht, sich zu befreien. Sie wandte mir das Gesicht zu und sah mich an. "Das sind Dragonermanieren."
    Ich machte keinerlei Bewegung. Sie sah mich immer noch an, hörte auf zu lächeln und sagte leise und vorwurfsvoll: "Du auch, Baby?"
    Und mit einemmal sah sie traurig und müde aus. Ich fühlte, daß sie etwas sagen wollte, daß ich ihr Rede stehen müßte, und löste sogleich meine Arme. Sie streichelte mir mit dem Handrücken die Wange und sagte kopfschüttelnd: "Natürlich."
    Dann setzte sie leise hinzu: "Später", lächelte traurig und ging weg. Ich sah ihr nach. Ich wunderte mich selbst, daß ich es getan hatte. Aber jetzt war der Anfang gemacht, ich konnte nicht mehr zurück. Ich wußte nicht recht, ob es mir Freude machte oder nicht. Am Nachmittag brachte mir Vera Zeitungen und Briefe aus Deutschland. Der eine war von Doktor Vogel. Er hatte drei Monate gebraucht, um mich zu erreichen. Er enthielt die Mitteilung von Mutters Tod. Den gleichen Gegenstand behandelten zwei kurze Briefe von Bertha und Gerda. Sie waren schlecht geschrieben und voller Fehler.

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