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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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gesprochen haben. "Da", sagte die Tante, als sie wieder hereinkam, "probier einmal den."
    Es war ein abgetragener, fadenscheiniger, mottenlöcheriger grüner Raglanmantel, der für mich viel zu groß war. Ich erinnerte mich nicht, Onkel Franz jemals darin gesehen zu haben. Onkel Franz trug sich in Zivil immer sehr elegant.

    "Danke, Tante."
    Ich zog ihn an. "Man müßte ihn kürzer machen lassen."
    "Ja, Tante."
    "Er ist noch gut, weißt du. Wenn du ihn schonst, geht er noch lange."
    Sie lächelte. Sie sah stolz und gerührt aus. Sie hatte mir einen Mantel geschenkt. Ich hatte nicht von der Mutter gesprochen, und trotzdem hatte sie mir einen Mantel geschenkt. Alles Unrecht war auf meiner Seite. "Bist du zufrieden?"
    "Ja, Tante."
    "
    Willst du wirklich keine Tasse Kaffee?"
    "Nein, Tante."
    "Du kannst noch ein bißchen bleiben, wenn du willst, Rudolf."
    "Danke, Tante. Ich muß gehen."
    "Na, ich halte dich nicht."
    Bertha und Gerda standen auf und gaben mir die Hand. Sie waren beide etwas größer als ich. "Besuch uns wieder, wann du willst", sagte Tante. Ich stand auf der Schwelle der Küche mitten zwischen den drei Frauen. Die Schultern des Mantels fielen mir auf die Oberarme herunter, und meine Hände verschwanden in den Ärmeln. Plötzlich erschienen mir die drei Frauen sehr groß, eine von ihnen drehte den Kopf zur Seite, es gab einen Knacks, und ich hatte den Eindruck, als berührten ihre Füße nicht mehr den Boden, sondern tanzten in der Luft wie die der gehängten Araber in Es Salt. Dann verwischten sich ihre Gesichter, die Mauern der Küche schwanden, eine erstarrte, eiskalte Wüste tat sich vor mir auf, und in der unermeßlichen Weite waren, soweit der Blick reichte, nur Puppen zu sehen, die in der Luft hingen und sich unablässig drehten. "Na", sagte eine Stimme, "hörst du denn nicht? Ich habe gesagt, du kannst wiederkommen, wann du willst."
    Ich sagte: "Danke", und schritt schnell der Vorsaaltür zu. Die Schöße des Mantels schlugen fast an meine Fersen. Meine Schwestern blieben in der Küche. Meine Tante begleitete mich. "Morgen früh", sagte sie, "mußt du Doktor Vogel aufsuchen. Gleich morgen. Versäume das nicht."
    "Nein, Tante."
    "Dann auf Wiedersehen, Rudolf."
    Sie öffnete die Tür. Ihre Hand lag hart und kalt in der meinen. "Du bist also froh, den Mantel zu haben?"
    "Sehr froh, Tante."
    Ich stand wieder auf der Straße. Die Tante schloß sofort die Tür, und ich hörte, wie sie drinnen den Riegel vorschob. Ich blieb unter der Tür stehen, ich hörte ihre Schritte verklingen, und es war gerade so, als ob ich noch im Hause wäre. Ich sah förmlich Tante die Küchentür aufmachen, sich hinsetzen und ihre Arbeit aufnehmen, und das Ticktack der Wanduhr klang in der Stille frostig und hart. Nach einer Weile würde Tante meine Schwestern anblicken und kopfschüttelnd

    sagen: "Er hat nicht einmal von seiner Mutter gesprochen!"
    Meine Schwestern würden zu weinen anfangen, Tante würde sich ein paar Tränen abwischen, und alle drei würden zusammen glücklich sein. Die Nacht war kalt, es fiel ein leichter, feiner Regen, ich kannte den Weg nicht genau und brauchte eine halbe Stunde, um zu der Adresse zu gelangen, die mir Schrader gegeben hatte. Ich klopfte, und nach einer Weile öffnete eine Frau. Sie war groß, blond und hatte einen starken Busen. "Frau Lippmann?"
    "Das bin ich."
    "Ich möchte Unteroffizier Schrader sprechen."
    Sie blickte auf meinen Mantel und fragte barsch: "In welcher Angelegenheit ? "
    "Ich bin ein Freund von ihm."
    "Sie sind ein Freund von ihm?"
    Sie musterte mich noch einmal und sagte: "Treten Sie ein."
    Ich trat ein, und wieder betrachtete sie meinen Mantel. "Folgen Sie mir."
    Ich folgte ihr über einen langen Korridor. Sie klopfte an eine Tür, öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten, und sagte mit zusammengekniffenen Lippen: "Ein Freund von Ihnen, Herr Schrader."
    Schrader war in Hemdsärmeln. Er drehte sich verblüfft um.

    "Du bist es! Schon! Komm doch herein! Was machst du denn für ein Gesicht! Und der Mantel! Wo hast du bloß den Fetzen her? Komm herein! Frau Lippmann, ich stelle Ihnen den Unteroffizier Lang von der Abteilung Günther vor. Einen deutschen Helden, Frau Lippmann!"
    Frau Lippmann nickte mir zu, gab mir aber nicht die Hand. "Aber so komm doch herein!"
    sagte Schrader mit plötzlich ausbrechender Lustigkeit. "Komm doch herein! Und Sie auch, Frau Lippmann! Und zieh erst mal diesen Fetzen aus. So siehst du viel besser aus. Frau Lippmann! Frau Lippmann!"
    Frau

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