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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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die Tat aus Liebe zum Vaterland ausgeführt. Er bemerkte dagegen, daß nur der Staat das Recht habe, Verräter zu richten. Ich schwieg, denn ich meinte, hier, wo ich mich befand, dürfte ich ihm nicht sagen, was ich von der Weimarer Republik hielt. Aber er verstand mein Schweigen, denn er schüttelte traurig den Kopf, zitierte einige Bibelverse und ging wieder . Ich log nicht, als ich dem Pastor antwortete, die Bibel hätte mich interessiert. Sie bestätigte mir alles, was mein Vater, der Rittmeister Günther und die Partei mich gelehrt hatten, über die Juden zu denken. Es war ein Volk, das alles aus Eigennutz tat, das systematisch die schmutzigsten Listen gebrauchte und das im täglichen Leben eine ekelhafte Geilheit zeigte. In der Tat, nicht ohne Unbehagen las ich gewisse dieser Geschichten, in denen unaufhörlich, oft in den anstößigsten Ausdrücken, von Konkubinen und Blutschande die Rede war . Im dritten Jahr meines Gefangenendaseins geschah etwas Außerordentliches: Ich erhielt einen Brief. Fiebernd zog ich ihn aus dem Umschlag. Er war unterzeichnet: Doktor Vogel, und er lautete:
    "Mein lieber Rudolf! Obwohl ich mich rechtmäßig von jeder Verpflichtung Dir gegenüber wegen Deines abscheulichen Betragens als entbunden betrachten kann, bin ich der Meinung, daß ich es dem Andenken Deines Vaters schuldig bin, Dich in der Schande, die jetzt Dein Los ist, nicht im Stich zu lassen, sondern Dir eine helfende Hand zu reichen und Beleidigungen zu vergessen. Drei Jahre sind vergangen, seitdem Gott seine Hand schwer auf Dich gelegt hat, damit Du nicht länger Deine Freiheit benutztest, um Böses zu tun. Diese drei Jahre, dessen bin ich sicher, werden Dir heilsam gewesen sein. Du bist Deinen Gewissensbissen ausgesetzt gewesen. Du hast die Last Deiner Verfehlungen getragen. Ich weiß nichts von diesen Verfehlungen. Du hast Sorge getragen, mir diese Kenntnis vorzuenthalten, indem Du jede Beziehung zu mir abbrachst. Aber was das für ein Leben gewesen sein muß, daß es schließlich zum Mord führte, welch entsetzliches Beispiel an Faulheit und zügelloser Sinnenlust es Dir gegeben haben muß, stelle ich mir nicht ohne tiefe Trauer vor. Es ist stets das Vergnügen -und Vergnügen niederster Art -, das den jungen Menschen vom harten Weg der Pflicht und des Gehorsams ablenkt. Aber jetzt, mein lieber Rudolf, ist die unerbittliche Züchtigung endlich über Dich gekommen. Sie ist gerecht, und Du fühlst es. Aber Gott in seiner unendlichen Nachsicht ist bereit, Dir zu verzeihen. Gewiß ist es jetzt nicht mehr möglich, den heiligen Willen eines Sterbenden buchstäblich auszuführen, und Deine Schande schließt die Gnade aus, jemals das erhabene Amt zu versehen, das Dein Vater für Dich gewünscht hatte. Aber es gibt bescheidenere Berufe, in denen Du Deine Verfehlung begraben könntest und für die man nichts weiter als ein reuiges Herz verlangt, sowie den festen Willen, Gott zu dienen. Da liegt jetzt für Dich das Heil, und Dein Vater, der vom Himmel auf Dich niederschaut, würde nicht anders entschieden haben. Wenn Deine Reue, wie ich hoffe, Dir die Augen geöffnet hat, wenn Du bereit bist, Deinen Hochmut zu beugen, auf die Anarchie und Unordnung Deines Lebens zu verzichten, wird es mir ohne Zweifel möglich sein, eine Herabsetzung Deiner Strafe zu erlangen. Ich bin nicht ohne einige Beziehungen, und ich habe eben erfahren, daß es den Eltern des jungen W. -Deines Mitschuldigen bei dem Verbrechen vor einigen Monaten gelungen ist, ihn amnestieren zu lassen. Darin liegt für Dich ein glücklicher Präzedenzfall, den auszunutzen mir zweifellos möglich sein wird, wenn ich mich vergewissert habe, daß die Züchtigung Dein verhärtetes Herz aufgebrochen hat und Dich reuig und lenksam in unsere Arme zurückführen wird. Deine Tante und Deine Schwestern haben mir keine Botschaft an Dich aufgetragen. Du wirst verstehen, daß die im tiefsten ehrenhaften Frauen im Augenblick nicht wünschen, mit einem Sträfling zu tun zu haben. Aber sie wissen, daß ich Dir schreibe, und beten unaufhörlich, daß Dein Herz von Reue erfaßt werde. Das ist es auch, was ich Dir aus tiefster Seele wünsche.
    Doktor Vogel."

    Ein Vierteljahr, nachdem ich diesen Brief erhalten hatte, ging meine Zellentür auf, und der Oberaufseher trat herein, gefolgt von einem Aufseher, blickte sich prüfend um und rief mit Stentorstimme: "Zum Herrn Direktor! Schnell!"
    Er ließ mich vorausgehen. Der Aufseher verschloß wieder die Tür, und der Oberaufseher rief: "Schnell,

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