Der Tod ist mein Beruf
Abschrift beigelegt hat."
Ich schluckte meinen Speichel hinunter und sagte: "Herr Direktor, Doktor Vogel ist nicht mehr mein Vormund. Ich bin mündig."
Er stand vor mir und schwang mit einer Grimasse sein Lineal. "Ist das der Grund, weshalb Sie nicht auf seinen Brief geantwortet haben?"
"Nein. Herr Direktor. Der Grund ist, daß ich nicht will, was er will."
"Wenn ich den Brief recht verstehe"
(ein Schlag mit dem Lineal auf den Schreibtisch), "den Herr Doktor Vogel geschrieben hat"
(ein Schlag mit dem Lineal auf die Lehne des Sessels), "einen, ich kann sagen, sehr interessanten Brief"
(ein Schlag mit dem Lineal auf die Handfläche), "so war es der Wille Ihres Vaters, daß Sie Priester würden?"
"Ja, Herr Direktor."
"
Warum?"
"Er hatte es bei meiner Geburt der Heiligen Jungfrau gelobt."
Es folgten mehrere Schläge mit dem Lineal, ein Wasserfall von schrillen Ahas, und er begann wieder herumzutänzeln. "Und Sie waren nicht einverstanden?"
"Nein, Herr Direktor."
Hinter meinem Rücken: "Haben Sie das Ihrem Vater gesagt?"
"Mein Vater fragte mich nie nach meiner Meinung."
Ein Schlag mit dem Lineal auf den Fensterriegel. "Aha!"
Vor mir: "Ist das der Grund, weshalb Sie konfessionslos geworden sind?"
"Nein, Herr Direktor."
"Welches ist der wahre Grund?"
"Ich hatte den Eindruck, daß mein Beichtvater das Beichtgeheimnis verletzt hätte."
Ein Schlag mit dem Lineal auf den Schreibtisch, Grimassen, Gehüpfe. "Wem -nach Ihrer Annahme -"
(Schlag mit dem Lineal an das Bücherregal) "hat er es enthüllt?"
"Meinem Vater."
Hinter meinem Rücken: "Und war das der Fall?"
"Nein, Herr Direktor, es war nicht der Fall. Aber ich habe es erst später erfahren."
Immer noch hinter meinem Rücken: "Aber Sie haben den Glauben nicht wiedergefunden?"
"Nein, Herr Direktor."
Ein Scharren mit dem Lineal auf Holz. Sehr schrille Ahas, und plötzlich laut schreiend: "Interessant!"
Ein kräftiger Schlag hinter meinem Rücken auf einen hölzernen Gegenstand "Oberaufseher!"
Der Oberaufseher sagte, ohne sich umzudrehen: "Jawohl, Herr Direktor."
"Interessant!"
"Jawohl, Herr Direktor."
Vor mir: "Ich habe in dem Brief von Doktor Vogel gelesen. ..", er nahm das Blatt mit den Fingerspitzen auf und hielt es mit angewiderter Miene weit von sich weg, ". ..daß er sich anheischig
machte, Ihre Begnadigung zu erwirken"
(Schlag mit dem Lineal auf den Brief), "wenn Sie auf seine Absichten eingingen. Glauben Sie, daß er es könnte?"
"Gewiß, Herr Direktor. Doktor Vogel ist ein Gelehrter und hat viele. .."
Lächeln. Schläge mit dem Lineal auf den Brief, Gehüpfe. "So! Herr Doktor Vogel ist ein Gelehrter. Und worin ist denn Herr Doktor Vogel so gelehrt?"
"In der Medizin, Herr Direktor."
"So!"
Hinter meinem Rücken: "Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, daß Sie vorgeben könnten, sich dem Doktor Vogel zu unterwerfen, und dann, wenn Sie erst begnadigt sind, Ihre Freiheit wiedererlangen könnten?"
"Nein, Herr Direktor, der Gedanke ist mir nicht gekommen."
"Und wie denken Sie jetzt darüber?"
"Ich werde es nicht tun."
"Aha!"
Vor mir stehend, das eine Ende des Lineals auf den Schreibtisch aufgesetzt und mit beiden Händen auf das andere Ende gestützt: "Warum nicht?"
Ich schwieg eine ganze Weile, und der Oberaufseher sagte in strengem Ton zu mir: "Antworten Sie doch dem Herrn Direktor!"
Der Direktor erhob sein Lineal und sagte energisch: "Lassen Sie ihm Zeit!"
Wieder trat ein Schweigen ein, und dann sagte ich: "Ich weiß nicht."
Der Direktor zog eine Grimasse, kniff die Lippen zusammen, warf dem Oberaufseher einen wütenden Blick zu, schlug mit dem Lineal an eine kleine Bronzestatue auf dem Schreibtisch und tänzelte dann wieder mit größter Geschwindigkeit um mich herum. "Kennen Sie außer Herrn Doktor Vogel jemanden, der Schritte unternehmen könnte, um Ihre Begnadigung zu erreichen?"
"Nein, Herr Direktor."
Hinter meinem Rücken stehend: "
Wissen Sie, daß in Ihrem Falle die Begnadigung fünf Jahre ausmachen kann ? Sie würden also fünf statt zehn Jahre abzusitzen haben."
"Ich wußte es nicht, Herr Direktor."
"Und haben Sie jetzt, da Sie es wissen, die Absicht, den Brief des Doktor Vogel zu beantworten?"
"Nein, Herr Direktor."
"Sie wollen also lieber fünf Jahre mehr absitzen, als sich den Anschein geben., daß Sie sich dem Doktor Vogel unterwerfen?"
"Jawohl, Herr Direktor."
"
Warum?"
"Das hieße ihn täuschen."
Vor mir stehend, mit ernster Miene, mit dem Lineal auf mich weisend und seinen durchdringenden
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