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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Blick auf mich gerichtet: "Betrachten Sie Herrn Doktor Vogel als einen Freund?"

    "Nein, Herr Direktor."
    "Empfinden Sie für ihn Zuneigung und Achtung?"
    "Gewiß nicht, Herr Direktor."
    Ich setzte hinzu: "Doch er ist ein großer Gelehrter."
    "Lassen wir den großen Gelehrten beiseite."
    Dann fuhr er fort: "Lang, ist es erlaubt, einen Feind des Vaterlandes zu töten?"
    "Gewiß, Herr Direktor."
    "Und gegen ihn eine Lüge anzuwenden?"
    "Gewiß, Herr Direktor."
    "Auch die schmutzigste List?"
    "Gewiß, Herr Direktor."
    "Doch gegen Herrn Doktor Vogel wollen Sie keine List anwenden?"
    "Nein, Herr Direktor."
    "Warum nicht?"
    "Das ist nicht dasselbe."
    "Warum ist es nicht dasselbe?"
    Ich überlegte und sagte dann: "Weil es sich nur um mich handelt."
    Er sagte "Aha!"
    in einem scharfen, triumphierenden Ton, seine Augen funkelten hinter den Brillengläsern, er warf das Lineal auf den Tisch, kreuzte die Arme und sah sehr befriedigt aus. "Lang", sagte er, "Sie sind ein gefährlicher Mensch."
    Der Oberaufseher drehte den Kopf zu mir und sah mich mit strenger Miene scharf an. "Und wissen Sie, warum Sie ein gefährlicher Mensch sind?"
    "Nein, Herr Direktor."
    "Weil Sie ehrlich sind."
    Seine goldene Brille funkelte, und er fuhr fort: "Alle ehrlichen Menschen sind gefährlich. Nur die Lumpen sind harmlos. Und wissen Sie, warum, Oberaufseher?"
    "Nein, Herr Direktor."
    "Möchten Sie es wissen, Oberaufseher?"
    "Jawohl, Herr Direktor, ich möchte es wissen."
    "
    Weil die Lumpen nur aus Eigennutz handeln, das heißt kleinlich."
    Er setzte sich, legte die Arme auf die Seitenlehnen des Sessels und sah von neuem höchst befriedigt aus. "Lang", begann er wieder, "ich bin froh, daß dieser Brief des gelehrten Doktor Vogel"
    (er nahm ihn mit den Fingerspitzen auf) "meine Aufmerksamkeit auf Ihren Fall gelenkt hat. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der gelehrte Doktor Vogel jetzt noch"
    (er lächelte) "etwas für Sie unternimmt. Aber ich dagegen. .."
    Er stand auf, hüpfte lebhaft zum Bücherregal, zog aufs Geradewohl ein Buch heraus und sagte, mir den Rücken zuwendend: "Zum Beispiel kann ich in Anbetracht Ihrer guten Führung eine Herabsetzung Ihrer Strafe beantragen."
    Er drehte sich mit affenartiger Behendigkeit um, stieß mit dem Lineal wie ein Fechter nach mir, seine Augen blitzten, und plötzlich rief er mit schriller Stimme: "Und ich werde es tun."
    Er stellte das Buch wieder an seinen Platz, tänzelte zu seinem Schreibtisch, setzte sich, hob den Blick und schien plötzlich ganz

    erstaunt zu sein, uns hier zu sehen. Er machte eine kleine ungeduldige Bewegung mit der Hand. "Führen Sie den Gefangenen ab!"
    Und ohne Übergang fing er an zu schreien: "Schnell, schnell, schnell!"
    "Vorwärts!"
    rief der Oberaufseher. Und wir verließen das Zimmer fast im Laufschritt. Der Direktor hielt Wort, obwohl ich noch zwei Jahre warten mußte, bevor ich die Wirkung spürte. Im Jahre 1929 erfuhr ich, daß meine Strafe auf die Hälfte herabgesetzt worden war. Und ich verließ das Gefängnis fast auf den Tag genau fünf Jahre, nachdem ich eingeliefert worden war . Ich war sehr gewachsen, und meine Zivilkleider waren abermals zu klein geworden. Auf jeden Fall war ich sehr froh, daß beinahe schon Sommer war und die Witterung mild, denn so brauchte ich den Mantel von Onkel Franz nicht zu tragen. Über meinen Arbeitslohn hinaus erhielt ich einen Fahrtausweis nach
    M. Im Zug ertappte ich mich dabei, daß ich an meine Zelle dachte, und seltsamerweise mit Bedauern. Ich hielt mich im Gang des Wagens auf, sah zum Fenster hinaus, die reifen Felder flogen vorüber, sie wogten leicht im Sonnenschein, und ich dachte: 'Ich bin frei.' Es war sonderbar, das zu denken, und daß es letztlich der Brief des Doktor Vogel gewesen war, dem ich meine Freiheit verdankte Nach einer Weile setzte ich mich wieder ins Abteil. Meine unbeschäftigten Hände hingen herab, die Minuten vergingen eine nach der andern, es war niemand mehr da, der mir sagte, was ich tun sollte, ich langweilte mich. Ich ging wieder auf den Gang hinaus und sah durchs Fenster. Die Kornfelder waren sehr schön. Der Wind strich mit leichten Schauern über sie weg wie über einen See. Im Gefängnis hatte man mir fünf Zigaretten mitgegeben, aber nichts, um sie anzuzünden. Ich trat in mein Abteil, bat einen Mitreisenden um Feuer und ging wieder auf den Gang. Die Zigarette hatte keinen Geschmack, und nach ein paar Zügen ließ ich das Fenster herunter und warf sie in weitem Bogen hinaus. Der Wind trieb sie an den

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